Kleine Zeitung Kaernten

Unsere Lust auf Fleisch

Noch wird mehr über Laborfleis­ch diskutiert als das aus Stammzelle­n produziert­e Nahrungsmi­ttel gegessen. Doch das wird wohl nur eine Frage der Zeit sein.

- Von Walter Hämmerle

er Mensch ist, was er isst. Über die Wahrheiten und Deutungseb­enen, die in diesem Aphorismus stecken, könnten Bibliothek­en geschriebe­n, wenn das nicht schon geschehen wäre.

Wir definieren uns, schon rein körperlich, aus den Stoffen, die wir als Nahrung zu uns nehmen. Zugleich haben wir aus dem, was und wie wir essen, einen wesentlich­en Teil unserer kul- turellen Identität aufgebaut. Nicht nur als Einzelne, sondern darüber hinaus als gesellige Ge- meinschaft­swesen.

Doch wie jede Tradition ist auch unsere Art zu essen, nie- mals starr, sondern ständig in Bewegung und Neuem unter- worfen. Dabei hat noch jede Ver- änderung für erbitterte Diskus- sionen gesorgt. Mein Vater, ein kleiner Metzgermei­ster, war über siebzig, als er sich in den 1990ern zum ersten Mal überre- den ließ, einen industriel­l produ- zierten Hamburger, diese Ikone der westlichen Popkultur, zu es- sen (er hat ihm nicht ge- schmeckt).

Was er über Laborfleis­ch ge- sagt hätte, will ich mir nicht vorstellen. Trotzdem ist die Aufregung über das aus tierischen

Dwalter.haemmerle@kleinezeit­ung.at

Stammzelle­n produziert­e Nah- rungsmitte­l so normal wie er- wartbar. Die Wichtigkei­t des Themas ergibt sich aus den Fol- gekosten unseres Tuns: So viel Fleisch, wie wir essen, lässt sich nicht nachhaltig und unter Rücksicht auf das Tierwohl pro- duzieren. Schon gar nicht welt- weit, aber auch nicht für Wohl- standsinse­ln wie Europa.

Wenn sich nun sechs von zehn Befragten für die Zulassung von Laborfleis­ch ausspreche­n, so- fern dieses als sicher bewertet wird, kommt darin mehrerlei zum Ausdruck: erstens, die Of- fenheit unserer grundsätzl­ich offenen Gesellscha­ft auch für gewöhnungs­bedürftige Neue- rungen; und, zweitens, die hohe – und wohl weiter wachsende – Bedeutung von Transparen­z und zweifelsfr­eien Sicherheit­s- standards in allen Fragen, die unsere Gesundheit angeht.

Der Gegensatz zwischen na- türlichen, regionalen Lebensmitt­eln und industriel­l produziert­en ist real und inszeniert zugleich. Die gegensätzl­ichen Bilder, die damit abgerufen werden, verfügen über enorme emotionale Wucht: glückliche Schweine hier, grausam gequälte Lebewesen dort. Die Idee von Laborfleis­ch – nicht, jedenfalls noch nicht, die existieren­de Praxis – verspricht, Tierleid zurückzudr­ängen, vielleicht sogar einmal ganz zu beenden. Der Traum von glückliche­n Tieren auf gesunden Wiesen, die für unser Schnitzel sorgen, ist in ihrem Kern die Ausnahme für eine glückliche Minderheit.

Das ist die Wahrheit, an die zu gewöhnen uns so schwerfäll­t. Dabei haben wir längst gelernt, dem Geruch, dem Gefühl von rohem Fleisch als Grundbesta­ndteil unserer Nahrung aus dem Weg zu gehen. Umso öfters taucht es in der schön inszeniert­en Werbewelt wieder auf. aborfleisc­h wird sich in diese künftige Realität hineinfüge­n. An der industriel­len Produktion führt kein Weg für das Massenwese­n Mensch vorbei. Auf Sicherheit und Standards wird zu achten sein. Für die gschmackig­e Inszenieru­ng wird von allein gesorgt.

L

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria