„Ein Mann sollte stark sein? Dann im Kopf!“
Wie kann Gewalt von Männern gegen Frauen verhindert werden? Ein Besuch bei Workshops, wo mit Burschen gearbeitet wird.
Chris Ngoy fragt in die Runde: „Wie ist denn das, wenn ein Bursche Angst zeigt?“Kichern. Getuschel. Dann die erste Antwort aus dem Sitzkreis: „Das ist peinlich.“Die Stimme gehört einem Drittklässler, er hängt lässig in seinem Sessel, lehnt sich so weit zurück, dass er fast umkippt. Ngoy schaut ihn direkt an: „Warum?“Kurzes Schweigen. „Jungs sollen halt stark sein, es sind eher die Mädchen, die weinen.“
In der Mittelschule Feldkirchen bei Graz wollen Chris Ngoy und sein Team toxische Rollenbilder aufbrechen. Die Kreide kratzt über die Tafel. „Angst, Trauer, Scham.“Die 13- bis 15-Jährigen im Raum haben entschieden, dass das Gefühle sind, die bei Burschen als „nicht normal“angesehen werden. „Was passiert, wenn man diese Gefühle unterdrückt?“Ngoys Kollegin Canan Jamnigg (22) ist relativ neu bei „Heroes“, einem Projekt gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. „Die Gefühle stapeln sich auf, sie kommen dann alle auf einmal“, antwortet ein Bursche. Und das kann zu Gewalt führen, erklärt Jamnigg. Die Gruppe spricht darüber, dass unter Stereotypen alle Geschlechter leiden. Zur Diskussion kommt es, als es darum geht, ob ein Bruder seiner gleichaltrigen Schwester zum Schutz der „Familienehre“verbieten kann, auf Instagram zu sein. Später in der Feedbackrunde werden die Kinder sagen, dass ihnen der Workshop gefallen hat. „Über solche Dinge redet man ja sonst nie.“
Traditionelle Rollenbilder, veraltete Vorstellungen von Männlichkeit und Besitzdenken haben einen hohen Preis. Zuletzt haben unfassbare Gewalttaten Österreich erschüttert. Eine 12Jährige soll in Wien von 17 Burschen vergewaltigt worden sein, eine Elfjährige von einem 14Jährigen in Kärnten. „Die Lage spitzt sich schon zu. Gewalt und psychische Belastung sind immer mehr Thema, die Polizei muss öfter an Schulen. Es gibt massive Krisen“, sagt Michael Kurzmann vom Verein für Männerund Geschlechterthemen. Die Gründe vermutet er in der Pandemie, der Inflation, dem Nahostkrieg und den sozialen Medien. „Es gibt viel Bedrohliches, das Kinder aufwühlt.“Philipp Leeb vom Wiener Verein Poika fügt hinzu: „Viele Kinder waren in der Pandemie auf sich gestellt, sind in virtuelle Welten abgedriftet und haben durch Pornografie und soziale Medien ein entfremdetes Frauenbild aufgebaut.“Veraltete Geschlechterrollen
ziehen sich durch alle Milieus, betont Leeb.
Während die Politik Strafen für junge Täter verlangt, rufen die Fachexpertinnen- und -experten nach mehr Prävention. Zunächst wurde viel Gewaltschutz mit Mädchen betrieben. „Was Ressourcen angeht, hat die Burschenarbeit erst nachziehen müssen“, sagt Kurzmann.
Neben „Heroes“gibt es in der Steiermark auch das Programm „Neue Männlichkeiten“. Im ersten Stock am Dietrichsteinplatz in Graz arbeiten Mario Tellez Giron Carmona und Lisa Schleich mit Schülern einer vierten und fünften Klasse des Klex-Gymnasiums. Sie sollen bald als „Peers“Inhalte an ihre Mitschüler weitergeben. Sie haben viel gelernt, erzählen sie: „Die Stereotype will ja als Einzelner keiner, aber ich glaub, die Masse macht das“, sagt Jonas (14). Der gleichaltrige Nico ist überzeugt: „Es sollte gar keine festen Richtlinien geben, wie ein Mann sein soll. Einfach nicht gewalttätig und wenn’s heißt, als Mann muss man stark sein, dann im Kopf“, er tippt sich auf die Schläfe. Ob die Burschen „neue Männer sind und positive Männlichkeitsbilder weitertragen, liegt an jedem Einzelnen von ihnen“, sagt Tellez Giron Carmona. Er ist von der Wirkung der Burschenarbeit überzeugt: „Je jünger, desto besser, ein
Workshop kann schon genügen.“Zumindest einen Impuls geben, meint auch Dominique Pipal vom Kärntner Verein Ponto. Die Burschen könnten zum Wandel beitragen: „Weil ein Mann, der mit seinen Gefühlen umgehen kann, wird nicht gewalttätig werden.“
Vom Sozialministerium wurde Burschenarbeit seit Ende 2021 mit rund zwei Millionen Euro gefördert. Für Kurzmann steht fest: „Wir müssen noch mehr in die Breite gehen.“Aber Vereine alleine können nicht alles leisten. Was es braucht: mehr Sensibilisierung für Pädagogen, mehr Unterstützungspersonal an Schulen, gute Zusammenarbeit mit den Eltern. Und auch mehr längerfristige Sicherheit für Präventionsprojekte.