„Vielleicht wird Mittelstation zur neuen Talstation“
Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler sieht grundlegende Änderungen auf den Wintertourismus zukommen. Positiv stimmt sie die heurige Sommersaison, für die sie eine Öffnung des Saisonnier-Kontingents fordert.
Der Frühling steht vor der Tür, teilweise gab es schon extreme Plusgrade. Fällt der Oster-Skilauf vielerorts ins Wasser? SUSANNE KRAUS-WINKLER:
Die höher gelegenen Gebiete haben noch sehr gute Verhältnisse. Ich war kürzlich rund um Lech unterwegs, da ist alles bestens. Ab 1200 oder 1300 Metern gibt es genug Schnee. Laut den Hoteliers sind die Buchungen gut.
Eine brandneue Studie prognostiziert, dass in ein paar Jahrzehnten eines von acht Ski-Resorts keinen natürlichen Schneefall mehr hat. Um rentabel zu bleiben, müssten diese immer weiter nach oben wandern – mit negativen Folgen für die Natur.
An eine Verbreiterung im oberen Bereich glaube ich nicht, weil es widmungstechnisch und aus Naturschutzgründen schon jetzt so ist, dass neue Skigebiete kaum noch zu entwickeln sind.
In Kärnten und der Steiermark sperren bereits Lifte zu. Wie kann Wintertourismus in Zukunft aussehen?
Wir müssen uns sicher einer Transformation stellen. Es ist die Aufgabe der Tourismuspolitik, hier vorauszudenken, wo die Veränderung am stärksten stattfinden wird. Es gilt, klare Zukunftsbilder zu entwickeln für Orte, wo es in Zukunft zu wenig Schnee zum Skifahren geben könnte.
In Ihrem Auftrag beschäftigen sich damit bereits Experten in Thinktanks. Gibt es schon erste Ergebnisse?
Wir haben sehr viele Daten rund um die Entwicklung der Schneegrenzen. Auf dieser Basis werden Konzepte erarbeitet, wo es neue Angebote braucht. Einige Zusatzangebote gibt es längst: Thermen oder Spa- und Wellnesshotels. Die Seilbahnwirtschaft denkt intensiv darüber nach, wie man mit Schneemangel
im Bereich der Talstationen umgeht. Vielleicht wird die heutige Mittelstation dann die neue Talstation oder die Talstation alternativ genutzt.
Was bedeutet das?
Das Beschneien weißer Bänder wird sich eher früher als später aufhören, weil es irgendwann unrentabel wird. Man wird im unteren Bereich der Skigebiete aber unbedingt für den Gast attraktive Dinge machen müssen. Die Euphorie nach dem Skifahren muss irgendwo ausgelebt werden. Man braucht wahrscheinlich an anderen Punkten als bisher mehr Gastronomie und Unterhaltung. Niedrig gelegene Skigebiete, die weiter entfernt von höher gelegenen sind, müssen in Alternativen denken. Bei besserer Erreichbarkeit sind Shuttleservices eine Lösung.
Beeinträchtigt Schnee nicht den fehlender Urlaubseindruck?
Deshalb müssen wir den Nachdenkprozess über neue, visionäre Winterangebote jetzt strukturiert starten. Manchmal ist der Punkt, wo man etwas startet, definierbar. Jetzt ist er da. Vor fünf Jahren hätten wir das nicht in der Ernsthaftigkeit machen können, wie das heute passiert. Die Veränderungen werden nicht schnell kommen, auch nicht alle auf einmal, sondern eher in Wellen. Das ist ein längerer Prozess. Bei einer Diskussion in Tirol mit Bürgermeistern, Seilbahnunternehmern und Gastronomen war das Spannende für mich, wie dort konstruktiv über die Zukunft des Winters gesprochen wurde. Das hätte es vor drei, vier Jahren noch nicht gegeben. Alle haben begonnen, sich verantwortungsbewusst mit dem Thema auseinandersetzen.
Sprung zur nächsten Hauptsaison: Erwarten Sie sich einen Rekordsommer?
Die Vorzeichen, was die Reiselust, die Befragungen und auch die Buchungssituation sowohl im Inland als auch im Ausland
betrifft, ist sehr, sehr positiv. Die Leute haben wieder viel früher begonnen zu buchen. Aufgrund der Nachfrage erwarte ich mir einen sehr guten Sommer.
Sie präsentieren morgen zum dritten Mal die Ergebnisse der Tourismusakzeptanz-Messung. Gibt es Verbesserungen?
Voriges Jahr hatten wir 76 von 100 Punkten. Wir sind im Schnitt auf einem fast gleichen Niveau geblieben, was nicht heißt, dass sich manche Herausforderungen nicht verändert haben.
Wir sehen derzeit überall viele, viele Pleiten. Gibt es auch im Tourismus eine Insolvenzwelle?
Wir sehen derzeit schon mehr Insolvenzen, aber nicht viel mehr als vor der Pandemie. In der Gastronomie habe ich etwas Sorge. In der Hotellerie sind jene mit variablen Zinsen unter Druck. Wenn die Zinsen mehr ausmachen als der operative Gewinn, dann ist es unternehmerisch nicht mehr rentabel. Daher hoffen alle auf baldige Zinssenkungen.
Das andere drückende Problem ist der Personalmangel. Wird Ihre Forderung nach Ausweitung des Saisonnier-Kontingents für den Westbalkan noch vor den Wahlen gehört?
Das hoffe ich sehr. Wir haben dem Koalitionspartner gerade unsere Pläne zum WestbalkanKontingent unterbreitet. Wir lehnen uns ein bisschen an das an, was Deutschland macht, weil wir natürlich Sorge haben, dass jetzt die traditionell bei uns stark vertretenen Saisonniers vom Westbalkan alle nach Deutschland gehen, weil da seit März alles viel einfacher ist. Unser jetziges Kontingent von knapp 4300 ist ein kleines Kontingent und wir brauchen unbedingt ein größeres, weil wir durch den demografischen Wandel immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen werden. Wir haben in der Saison 250.000 Beschäftigte nur in der Beherbergung und Gastronomie.
Wie steht es um die geforderte Klarnamen-Pflicht?
Beim informellen Tourismusministertreffen in Belgien wurde diese als wichtiges Thema akzeptiert. Dafür braucht es auf EU-Ebene ein Lobbying dafür. Ein österreichischer Alleingang würde zwar gehen, aber gegenüber den großen Plattformen braucht es eine gemeinsame Umsetzung, die zumindest zwei Jahre dauern dürfte.