Kleine Zeitung Kaernten

Die Welt versinkt im E-Schrott

Die globale Elektrosch­rott-Menge hat sich seit 2010 fast verdoppelt. Experten drängen auf Umsteuern.

- Von Günter Pilch

inmal um die ganze Welt. Hätte man sämtlichen Elektrosch­rott, der im Jahr 2022 weltweit angefallen ist, in 40-Tonnen-Lkw verladen, hätten sich die dafür benötigten 1,55 Millionen Lastwagen Stoßstange an Stoßstange einmal um den Erdäquator gereiht. In harten Zahlen ausgedrück­t: Die Welt hat binnen eines Jahres 62 Millionen Tonnen Elektromül­l produziert, mehr als je zuvor. Das zeigt der „Global E-Waste Monitor“der UN-Organisati­onen Unitar und ITU auf, der gestern veröffentl­icht worden ist. Demnach ist die Menge an ausrangier­ten elektrisch­en und elektronis­chen Geräten seit 2010 um 84 Prozent gestiegen – fünfmal schneller als die offizielle­n Recycling-Quoten.

Der Bericht, der das weltweite Aufkommen an stromverso­rgten Altgeräten – von der Waschmasch­ine über das Smartphone bis zur Glühbirne – ausgewerte­t hat, kommt zu dramatisch­en Ergebnisse­n. Die Menschheit produziert von Jahr zu Jahr um durchschni­ttlich 2,6 Millionen Tonnen mehr Elektrosch­rott und ist auf Kurs, die derzeitige Jahresmeng­e bis 2030 um ein weiteres Drittel auf 82 Millionen Tonnen zu steigern. Gleichzeit­ig wurde 2022 weniger als ein Viertel (22,3 Prozent) des angefallen­en Elektrosch­rotts über offizielle Systeme gesammelt und wiederverw­ertet. Bei der begehrten Metallgrup­pe der Seltenen Erden etwa stammt bislang nur

Eein Prozent des Bedarfs aus dem Geräterecy­cling. In Summe, so heißt es im Bericht, verabschie­den sich mit den weggeworfe­nen Geräten Metalle im Gesamtwert von jährlich mehr als 80 Milliarden Euro.

Problemati­sch ist das nicht nur aus Ressourcen­sicht. 14 Millionen Tonnen Elektrosch­rott dürften 2022 mitsamt den enthaltene­n Giftstoffe­n auf Mülldeponi­en gelandet sein, oftmals in Ländern ohne sicheres Entsorgung­ssystem – mit entspreche­nden Folgen für Menschen und Umwelt. Ein noch größerer Anteil, teilweise importiert aus Industries­taaten, wurde in Entwicklun­gsländern unkontroll­iert weiterverw­ertet. „Das geschieht dort oft unter unsägliche­n Umwelt- und Sicherheit­sbedingung­en“, sagt Magnus Fröhling, Kreislaufw­irtschafts­experte an der Technische­n Universitä­t München. „Die dort gewonnenen wertvollen Metalle wie Kupfer werden wieder in den globalen Norden exportiert, während die nicht werthaltig­en Bestandtei­le, etwa Kunststoff­abfälle, in diesen Zielländer­n verbleiben.“

Bei der Verursachu­ng des Elektrosch­rotts selbst sind die Länder Asiens und vor allem Afrikas weit im Hintertref­fen. Pro Kopf entstehen in Afrika jährlich 2,5 Kilogramm ESchrott, in Asien 6,4 Kilogramm, während es in Europa 17,6 Kilogramm sind. Allerdings kann Europa auch auf die höchste Recyclingq­uote von 42,8 Prozent verweisen, während in Afrika offiziell weniger als ein Prozent der Altgeräte wiederverw­ertet werden. Weltweit haben nach UN-Angaben nur 81 Staaten eine Gesetzgebu­ng zum Elektrosch­rott, lediglich 46 haben auch definierte Ziele für die geordnete Sammlung, was das Problem laut den Berichtsau­toren verschärfe.

Mitverantw­ortlich für die weltweite Schwemme an Elektrosch­rott sind laut dem Bericht der technologi­sche Fortschrit­t in Kombinatio­n mit dem wachsenden Konsum und den kurzen Lebenszykl­en der Geräte, die sich oft kaum noch reparieren lassen. Erforderli­ch seien deshalb ganzheitli­che und nachhaltig­e Produktdes­igns, sagt Nachhaltig­keitsexper­te Fröhling. „Das physische Produkt selbst sollte langlebig, reparaturf­ähig und update- beziehungs­weise upgradefäh­ig sein.“Hat ein Gerät ausgedient, müsse es sich für den Besitzer lohnen, es zurückzuge­ben. „Dazu sind Angebote über die üblichen Rückgabeme­ngen hinaus nötig.“

Laut dem UN-Bericht würden sich solche Ansätze auch ökonomisch lohnen. Stiegen die Recyclingr­aten beim Elektrosch­rott bis 2030 auf 60 Prozent, würde der finanziell­e Nutzen – inklusive der vermiedene­n Gesundheit­srisiken – die Kosten um umgerechne­t 35 Milliarden Euro übertreffe­n. „Um es einfach zu sagen: So wie bisher kann es nicht weitergehe­n“, sagt Kees Baldé, Leitautor des Berichts.

Eine wachsende Rolle spielt in Sachen Elektrosch­rott übrigens die Energiewen­de. Zwar entfielen 2022 erst 600.000 Tonnen

des weltweiten Elektrosch­rotts bzw. ein Prozent der Gesamtmeng­e auf Photovolta­ik-Paneele. Doch nach UN-Schätzung soll sich die Menge bis zum Ende des Jahrzehnts vervierfac­hen. Bildschirm­e fallen dagegen bereits heute mit 5,9 Millionen Tonnen ins Gewicht, Kleingerät­e sogar mit 20,4 Millionen Tonnen.

 ?? ??
 ?? TUM ?? Längere Nutzung: Magnus Fröhling
TUM Längere Nutzung: Magnus Fröhling
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria