Mein Opa: Verdrängtes Verbrechen
ORF-Redakteur Bernt Koschuh arbeitet auf Ö 1 die Geschichte seiner Familie auf.
ür seine Nachkommen war Friedrich Polte ein Phantom. Selbst die Kinder des SS-Obersturmbannführers erfuhren erst zehn Jahre nach dem Tod des „Vatis“von dessen Hinrichtung als Nazikriegsverbrecher. „Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich jeden Tag im Abendgebet den Vater mit eingeschlossen habe, mit den Worten: Lieber Gott, lass den Vati bald wiederkommen“, erinnert sich ein Sohn im Ö 1-„Hörbild“(zu hören am Samstag um 9.05 Uhr) im Gespräch mit dem Enkel von Polte: dem ORF-Redakteur Bernt Koschuh, der sich auf Spurensuche nach seinem Großvater begeben hat.
Fder eigenen Familiengeschichte hatte für den gebürtigen Grazer Koschuh den Ausgangspunkt vor rund sieben Jahren nach einem Umzug auf die Aspanggründe in Wien. Das Gelände beherbergte bis 1971 den
Aspangbahnhof, der im Nationalsozialismus als Deportationsbahnhof genutzt wurde, woran heute ein Mahnmal erinnert. Hier kam Koschuhs Schwester ins Spiel: Sie hatte Dokumente entdeckt, dass Großvater Friedrich Polte vorab über die ersten Deportationszüge 1939 vom Aspangbahnhof informiert worden war.
1940 kam Almut Polte zur
Welt, die Mutter von Bernt Koschuh, von ihren Eltern „Hasi“genannt: „Hasi sagt viel Bitte und Danke. Das Verabschieden ist immer sehr nach Etikette – vom Baba, Handi-Geben, Heil Hitler!, das sie längst, und zwar von selbst kann“, notierte Vater Friedrich. Zu dieser Zeit war er als Leiter des „Sicherheitsdiensts des Reichsführers SS“in Wien und Berlin längst eine der zentralen Figuren des Nazi-Apparats, die „Judenaktion“hat er ausdrücklich unterstützt, wie er in einem Aktenvermerk notierte. Im Ö 1-„Hörbild“führt Koschuh an: Eine zentrale Aufgabe des Sicherheitsdienst-Leitabschnitts in Wien war es, Juden zu tyrannisieren und zu gängeln, um ihnen das Leben in der Ostmark unmöglich zu machen.
mit dem Gauleiter von Wien, Baldur von Schirach, musste Polte die Stadt verlassen und wurde mit Beginn des „Jugoslawien-Feldzugs“nach Belgrad kommandiert, wo er als eine Art Gestapo-Vizechef agierte und damit mitverantwortlich für Folterungen, standrechtliche Erschießungen von Kommunisten oder den Transport jüdischer Emigranten in das Konzentrationslager in Šabac war. Nach Kriegsende wurde Polte nach Jugoslawien ausgeliefert, wo er 1946 als Kriegsverbrecher und „Mitorganisator des Terrorapparats der deutschen Polizei mit dem Ziel, Juden auszurotten und die slawischen Völker zu versklaven“, zum Tod durch Erhängen verurteilt wurde. Erst im Alter von 17 Jahren sollte Almut vom Schicksal ihres Vaters erfahren.