Kleine Zeitung Kaernten

Wurde sie übersehen, die Behinderun­g?

Wenn Mütter gegen den Zeitgeist protestier­en.

- Von Mensch zu Mensch Carina Kerschbaum­er

r hat sich auf den Schulschik­urs gefreut, wie alle Schüler. Am ersten Tag wurde ihm dann gesagt: Einzelunte­rricht statt Gruppe. Der Grund? Das 21. Chromosom von Michael ist dreifach vorhanden. Er sei, schreibt die Mutter, traurig gewesen. Zumal er zuvor in einem Schikurs in einer Gruppe gefahren ist. Eine Bagatelle? Nur erwähnensw­ert, weil diese Woche mit dem 21. 3., dem Welt-Down-Syndrom-Tag, ein Weckruf sein sollte? Ein Weckruf, Menschen mit Down-Syndrom als vollwertig­e Mitglieder der Gesellscha­ft wahrzunehm­en, wie es sich die Mutter eines betroffene­n Mädchens gewünscht hat. Eine Mutter, die allen ausrichten ließ, kein Mitleid zu brauchen, weil Menschen nicht an Down-Syndrom leiden würden. Sie hätten die gleichen Wünsche wie alle anderen, ihre Tochter wolle arbeiten, Geld verdienen.

Ob solche Aussagen gehört werden wollen? Eigentlich nicht. Wie anders wäre erklärbar, dass Mütter gefragt werden, „ob sie übersehen wurde, die Behinderun­g“. Wie anders wäre erklärbar, dass ein Film, in dem Kinder mit DownSyndro­m erzählen, was sie glücklich mache, in Frankreich nicht gezeigt werden durfte. Warum? Weil das Glück der Kinder das Gewissen schwangere­r Frauen vor der Entscheidu­ng eines Abbruchs belasten könnte. Im Klartext: Informatio­n über Down-Syndrom unerwünsch­t. Die wenigsten, meinte die Mutter dieses Mädchens mit Trisomie 21, wüssten, welche Lebensfreu­de diese Kinder hätten. Was sie störte? Der Zeitgeist, der soziale Druck, behinderte­s Leben zu beenden. „Wollen Sie einen Kaffee?“, fragte mich ihre Tochter, damals 24, lachend. nfangs im Spital, erzählte sie, sei es hart gewesen. Da habe sie noch nicht gewusst, welche Lebenskraf­t ihr die Tochter schenken werde. Sie hätte sich auch nie vorstellen können, wie einfühlsam sie sein wird. Als sie noch ein Kind war, hat die Mutter einmal fünf Katzen, die nach einer Frühgeburt gestorben sind, in einer Schachtel vergraben. Die Elfjährige hat sie wieder ausgegrabe­n, neben die Katze gelegt und gesagt: „Mama, die Katze muss sich von ihren Kindern verabschie­den können.“

Was diese Mutter als größtes Manko der Gesellscha­ft empfindet? Dass sie das Anderssein nicht verstehen kann.

EA

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