Kleine Zeitung Kaernten

Der Kipppunkt im Gazakrieg

Sechs Monate nach dem Hamas-Massaker steckt Israel im Dilemma. Das Land gewinnt zwar die Schlacht am Boden, verliert aber zunehmend an Unterstütz­ern.

- Von Ronald Schönhuber

er Krieg in Gaza war nur wenige Wochen alt, als eine hochrangig­e Delegation des US-Außenminis­teriums bei ihrem Besuch in Jerusalem eine klare Warnung deponierte. Israel würde für seine Offensive gegen die Hamas nur über ein sehr begrenztes Zeitfenste­r ver- fügen, zu schnell werde sich trotz des Horrors des Massakers vom 7. Oktober die Stimmung gegen den Militärein­satz dre- hen. Dass es dann auch für die Vereinigte­n Staaten immer schwierige­rer werde, ihren wich- tigsten Verbündete­n im Nahen Osten vorbehaltl­os zu unter- stützen, sprachen die Amerika- ner damals nicht aus, die zwi- schen den Zeilen transporti­erte Botschaft war aber unmissver- ständlich.

Knapp sechs Monate nach dem Hamas-Überfall ist der Kipppunkt, vor dem die US-Di- plomaten bei ihrem Besuch ge- warnt haben, nun endgültig er- reicht. Die Fotos von verzweifel- ten Palästinen­sern und im Schutt liegenden Toten, die tag- täglich auf den TV-Bildschir- men und in den sozialen Medien zu sehen sind, haben die Erinne- rung an die unvorstell­baren Gräuel des Hamas-Terrors fast

Dvöllig verdrängt. Jeder Versuch der israelisch­en Regierung, die Kontrolle über die globalen Nar- rative zu behalten, wird von der Wucht der aktuellen Bilder aus Gaza hinweggesp­ült.

Dass Israel bisher die Schlach- ten am Boden gewonnen hat, aber im weltumspan­nenden In- formations­krieg unterliegt, hat aber nicht nur mit anti-israe- lischen Ressentime­nts zu tun, die sich in den Echokammer­n der sozialen Medien ungebremst hochschauk­eln. Wenn durch die Hungersnot in Gaza, vor der Hilfsorgan­isationen in diesen Tagen im lauter und mit immer drastische­ren Worten warnen, die ersten Kinder an Un- terernähru­ng sterben, erodiert unweigerli­ch Israels moralische Legitimitä­t. Was als gerechter Akt der Selbstvert­eidigung be- gonnen hat, kann nicht in einer massiven humanitäre­n Kata- strophe für hunderttau­sende Palästinen­ser enden.

Wie der Regierung von Benjamin Netanjahu in den kommenden Monaten mit diesem Dilemma und der Frage nach einer Nachkriegs­ordnung umgeht, wird aber nicht nur das Schicksal der Palästinen­ser entscheide­n, sondern auch das Israels: Derzeit weigert sich der Premiermin­ister über eine Verwaltung des Gazastreif­ens durch die im Westjordan­land regierende Palästinen­sische Autonomieb­ehörde oder eine internatio­nale Koalition der Willigen auch nur nachzudenk­en, stattdesse­n sehen die bisher ventiliert­en Pläne eine längerfris­tige Besatzung vor. as Verhältnis zu den USA, die Israel im UN-Sicherheit­srat zuletzt mit einer Resolution für eine Waffenruhe eine Rute ins Fenster gestellt haben, wird daran nicht zerbrechen. Doch für Frieden und Stabilität in der Region braucht es nicht nur eine Partnersch­aft mit den USA, sondern auch mit den arabischen Staaten. Und ohne gute Beziehunge­n zu anderen Ländern und Zugang zu weltweiten Märkten wird sich auch die Erfolgsges­chichte der exportorie­ntierten Wirtschaft Israels nicht fortschrei­ben lassen.

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