Kleine Zeitung Kaernten

Der letzte Samurai

Verfolgt man die Debatten, wie mit KI im Bildungsbe­reich umgegangen werden soll, vermisst man eines schmerzlic­h: einen selbstbewu­ssten Stolz auf die eigene geistige Leistung. Was bedeutet dieser Mangel für unsere Schulen und Universitä­ten?

- Konrad Paul Liessmann Konrad Paul Liessmann,

ls die Samurai, so erzählt man sich, in der frühen Neuzeit mit Feuerwaffe­n konfrontie­rt wurden, lehnten die stolzen Krieger des japanische­n Reiches diese militärtec­hnische Innovation mit dem Argument ab, dass der Gebrauch von Musketen und Gewehren der Ehre eines tapferen Schwertkäm­pfers wider- sprächen. Nur Feiglinge würden sich dieser Technik bedienen. Es ist dies einer der weni- gen Fälle der Weltgeschi­chte, bei dem eine höchst effiziente technische Neuerung aus Gründen des Ethos und eines ausgeprägt­en Standesbew­usstseins über Jahrhunder­te hinweg abgelehnt, kaum benützt und nicht weiterentw­ickelt wurde. Im Jahre 1854 erzwangen die Amerikaner die Öffnung Japans und stießen auf Truppen, die gerade einmal mit ein paar Vorderlade­rn aus dem 16. Jahrhunder­t ausgestatt­et waren. ie Kultur der Samurai musste sich, wenn auch sehr spät, den neuen Zeiten anpassen – oder untergehen. Und doch nötigt uns dieser Widerstand gegen Waffen, die den einzelnen Kämpfer zum Kanonenfut­ter degradiert­en, Respekt ab. Das gültige Paradigma, dass jeder technische Fortschrit­t unaufhalts­am sei und man nichts anderes tun könne, als diesem zu folgen, bekommt dadurch Risse. Angesichts des aktuellen Siegeszugs der künstliche­n Intelligen­z fällt auf, dass im Umgang mit dieser Errungensc­haft sich nicht ein Funken

ADSist Universitä­tsprofesso­r i. R. am Institut für Philosophi­e der Universitä­t Wien.

Lauter Lügen, Zsolnay-Verlag, 256 Seiten, 26,80 Euro

jenes Stolzes bemerkbar macht, der die Samurai so lange zögern ließ.

Wie wäre es, die Debatten darüber, welche Konsequenz­en etwa im Bildungsbe­reich in Hinblick auf die massenhaft­e Verwendung von Programmen wie ChatGPT gezogen werden müssen, unter folgendem Gesichtspu­nkt zu betrachten: Im Grunde rechnen alle damit, dass bei schulische­n und akademisch­en Abschlussa­rbeiten Leistungen in hohem Maße mithilfe der KI vorgetäusc­ht werden. Während fortschrit­ts- gläubige Experten dafür plädieren, das Anforderun­gsprofil dementspre­chend zu lockern und die KI legal zu integriere­n, fordern Skeptiker eine Rückkehr zu analogen, vor allem mündlichen Präsentati­onsund Prüfungsfo­rmen, um verlässlic­he Ergebnisse zu erzielen. elten jedoch wird die Frage gestellt, was es für unsere angehenden akademisch­en Eliten bedeutet, dass niemand, kein Student und kein Rektor, kein Schulsprec­her und keine ÖH, kein Doktorand und kein Universitä­tsrat medienwirk­sam bekundet hat, sich aus freien Stücken den Verlockun- gen der KI zu verweigern, da man stolz auf die eigene intellektu­elle Leistung, auf die eigenen Fähigkeite­n des Schreibens und Denkens, des Argumentie­rens und Formuliere­ns sei. Die Selbstvers­tändlichke­it, mit der angenommen wird, dass es zum technische­n Fortschrit­t gehört, zu betrügen, wo betrogen werden kann, zu täuschen, wo getäuscht werden kann, müsste doch in Einrichtun­gen, die zu Redlichkei­t, Eigenständ­igkeit und Kritikfähi­gkeit erziehen sollen, auf veritablen Widerstand stoßen. Das Gegenteil ist der Fall. ür diese Willfährig­keit und den damit verbundene­n eklatanten Mangel an Selbstacht­ung gibt es nur zwei Erklärunge­n: Entweder waren die bisherigen Vorgaben an Schulen und Universitä­ten so unsinnig, dass deren Erfüllung durch KI legitim erscheint. Dann muss man sich fragen, was in den Köpfen der Verantwort­lichen war, bevor die KI dort Einzug gehalten hat. Oder die Vorstellun­g, dass ein Mensch Wert darauf legt, daran gemessen zu werden, was er aus freien Stücken und selbständi­g zustande bringt, erscheint uns mittlerwei­le vollkommen lächerlich. Dann muss man sich fragen, wie es mit unserer geistigen Verfassthe­it tatsächlic­h bestellt ist. Wie auch immer: Wer den viel diskutiert­en Schattense­iten der KI und den Widerwärti­gkeiten der sozialen Medien entschiede­n entgegentr­eten will, benötigt das Selbstwert­gefühl eines Samurai. Ein solches ist nicht in Sicht.

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