Ein Missverständnis auf ganzer Linie
Martin Kušej zerdehnt bei seiner letzten Regie als Burgtheaterdirektor Tennessee Wiliams’ Drama „Orpheus steigt herab“.
Es wird gezeugt und getötet, geliebt und verraten in dem Stück, das mit Mord beginnt und im Mord endet. Die Sätze von Williams sind knapp und hart wie die Handlung. Im Wiener Burgtheater aber wird sinniert und gegrübelt. Schlaff und unverbunden stehen Pappfiguren im Raum und sprechen ihren Part ins Auditorium, als wären sie nicht Teil der unerbittlichen Logik einer Tragödie. Fast drei Stunden lang verweigert Martin Kušej das Drama, das er selbst für seine letzte Inszenierung als Direktor des Hauses ausgewählt hat.
Im Programmheft erklärt der Regisseur, wieso er bisher noch kein Stück des Amerikaners in Szene gesetzt hat. Der „tiefgreifende Realismus“von Williams’ Werken schien ihm seiner eigenen „bisherigen Theater-Auffassung entgegengesetzt“, seinem „distanzierten Blick auf Realität
Zur Aufführung
Orpheus steigt herab von Tennessee Williams (1957) Martin Kušej
Nächste Aufführungen am 26. März, 1., 9., 21. April und auf Naturalismus“. Er, Kušej, habe daher versucht, den Figuren des Vollblutdramatikers die „naturalistische, lebensechte Sprech- und Spielweise“auszutreiben, um zu sehen, „was hinter den Worten liegt“.
Auf der vielfältig nutzbaren Bühne von Annette Murschetz folgt das Publikum mit rasch nachlassender Spannung dem Kampf des Regisseurs gegen den Autor. „Manchmal gewinne ich und mal gewinnt Tennessee Williams“, formuliert Kušej im Programmheft. Am Ende gibt es nur Verlierer. Anstelle höherer
Erkenntnis breitet sich tödliche Langeweile aus. Ein Glück, dass gelegentlich Sarah Viktoria Frick vorbeikommt und die lebenspralle Miniatur einer frustrierten Polizistengattin mitbringt. Ein Lichtblick, wenn der todkranke Tyrann Jabe in Gestalt von Martin Reinke grummelnd Angst und Schrecken verbreitet. In diesen raren Momenten kämpft sich Williams’ theatralische Urkraft auf die Bühne zurück, die der Regisseur seiner Theorie opfern wollte.
Erste Leidtragende des verkopften Experiments sind die Protagonisten. Die frustrierte Lady (Lisa Wagner) darf nur leblos über die Bühne schlurfen und ihre Texte murmeln, als wären sie ihr peinlich. Tim Werths Orpheus, der bei Williams Val heißt, wäre niemand aus dem Hades gefolgt. Weil die Regie ihn seiner Attraktivität als Mann beraubt, fehlt dem Drama die treibende Kraft. Ein Missverständnis auf ganzer Linie.