Kleine Zeitung Kaernten

Reich der Düsternis

Das Regime Wladimir Putins findet mittlerwei­le nichts mehr dabei, öffentlich zur Schau zu stellen, dass es Menschen foltert. Und glaubt auch noch, damit zu punkten.

- Von Nina Koren

n seinem Roman „Der Tag des Opritschni­ks“beschrieb der russische Schriftste­ller Wladimir Sorokin schon im Jahr 2006 eine düstere Zukunftsvi­sion, in der die Welt von Iwan dem Schrecklic­hen mit dem Putinismus verschmilz­t. Ein Land, wo Brutalität als oberste Staatsrai- son gilt. Russland im Jahr 2024 ist erschrecke­nd nahe dran an dieser Dystopie. Nach dem grau- enhaften Terroransc­hlag in einer Moskauer Konzerthal­le, bei dem fast 140 Menschen ums Le- ben kamen, taucht ein Video auf, wo zu sehen ist, wie ein rus- sischer Sicherheit­sbeamter ei- nem mutmaßlich­en Terroriste­n ein Ohr abschneide­t und ihn zwingt, es aufzuessen.

Wenig später die offizielle­n Fotos: Die gefangen genomme- nen Männer werden dem Richter und der Öffentlich­keit vorge- führt, einer liegt benommen in einer Art Rollstuhl; die anderen mit verschwoll­enen Gesichtern, einem fehlt offenbar ein Auge. Ob es sich bei den offensicht­lich Gefolterte­n tatsächlic­h um die Attentäter handelt, werden wir nie erfahren. Außergeric­htliche Tötungen, Folter, gewaltsame­s Verschwind­enlassen und will- kürliche Inhaftieru­ngen: Me

Inina.koren@kleinezeit­ung.at

thoden, zigfach dokumentie­rt, auch aus den von Russland be- setzten Gebieten, wo Ukrainer misshandel­t werden.

Es dauert keine zwei Stunden, bis Leute aus der Putin-Partei fordern, die Todesstraf­e einzuführe­n: bei „Terror und Mord, ei- ne Strafe, die der Stimmung und den Erwartunge­n unserer Ge- sellschaft entspricht“. Im kras- sen Gegenzug dazu die stille Trauer der Menschen vor dem ausgebrann­ten Gebäude, die Blumen und Stoffteddy­bären zum Gedenken an die Toten nie- derlegen. Terror ist immer ein Verbrechen, seine Opfer verdie- nen Anteilnahm­e, egal wie ver- brecherisc­h die Regierung ist.

Wahrheitsf­indung steht nicht auf dem Programm. Es geht um Rache. Und um das Fa- brizieren einer Erzählung, die Hass auf die Ukrainer ansta- cheln soll, um einen Feldzug zu rechtferti­gen, in dem Putin Schätzunge­n zufolge etwa 300.000 seiner Landsleute in den Tod geschickt hat. Während Terrorexpe­rten eindeutig Islamisten hinter dem Anschlag in der Konzerthal­le sehen, tauchen im Internet bereits Fake-Videos auf, die die Ukrainer als Drahtziehe­r darstellen. Ein böses Märchen, das ablenken soll davon, dass der „Beschützer“im Kreml die Warnungen vor dem Terror in den Wind schlug. utin hat Russland verwundbar gemacht. Mit der Kriegsteil­nahme in Syrien, für die ihn die Islamisten verantwort­lich machen. Und mit seinem Krieg gegen die Ukraine, dem er alles unterordne­t. Auch den Schutz Russlands vor dem Terror. Während die Behauptung, die Ukraine sei eine Gefahr für die Sicherheit Russlands, sich nicht einmal jetzt, wo sie von Putin angegriffe­n wurde, bewahrheit­et, trifft der islamistis­che Terror Russland mitten in Moskau. Nicht zum ersten und wohl nicht zum letzten Mal. Gefährlich ist das Gerede von der Todesstraf­e vor allem für die Bürger im eigenen Land. Zahlreiche Opposition­elle, Menschenre­chtler, kritische Künstler und junge Protestier­er wurden zuletzt zu „Extremiste­n“erklärt.

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