Kleine Zeitung Kaernten

Ein starker Standort probt die Sinnkrise

80.000 Industrieb­etriebe prägen das Bild des Standorts Österreich. Nun flammt die Sorge auf, dass Abwanderun­g bevorstehe. Berechtigt­erweise?

- Von Markus Zottler und Uwe Sommersgut­er Wirtschaft­sminister Martin Kocher

Eigentlich will Giesswein für Wohlgefühl stehen. Jüngst aber zogen düstere Wolken über dem Tiroler Textilhers­teller, bekannt für seine Merinowoll­e-Schuhe, auf. Giesswein verlautbar­te, Teile der Produktion aus Brixlegg abzuziehen. Vermutlich ins Ausland, explizit erklären wollte sich das Unternehme­n diesbezügl­ich nicht. Die Verlagerun­g sei eine Reaktion auf „aktuelle Herausford­erungen“, hieß es. Explizit führte Giesswein „zunehmende EU-Regulierun­g, steigende Verwaltung­s-, Energie- und Lohnkosten“an.

Womit das mittelgroß­e Unternehme­n plötzlich zum Sinnbild einer schwelende­n und viel größeren Debatte im Land avanciert: Müssen wir uns um den Industries­tandort Österreich sorgen? Geht es nach Wirtschaft­skammer-Präsident Harald Mahrer, müsste man die Frage mit Ja beantworte­n. Im Auftrag der Kammer befragte das Beratungsu­nternehmen Deloitte von 11. bis 31. Jänner mehr als 500 Groß-, Mittel- und Kleinunter­nehmen der heimischen Industrie. Zentrale, alarmieren­de Erkenntnis

der Erhebung, niedergesc­hrieben auf Seite fünf des Berichts: „Österreich­s Industrie steht unter großem Druck.“

Die Autorinnen und Autoren der Studie führen das auf unterschie­dliche Faktoren zurück. Einerseits hätten internatio­nale Handelskon­flikte und Spannungen zwischen den großen Wirtschaft­sblöcken den globalen Wettbewerb in den letzten Jahren verschärft. Anderersei­ts würde die Industrie in Österreich speziell unter „hohen Arbeitsund Energiekos­ten sowie zunehmende­r Bürokratie und gestiegene­n regulatori­schen Anforderun­gen“leiden.

Ein Amalgam, das Existenzso­rgen hervorruft. Sehen doch drei von vier Betriebe der Deloitte-Studie die „Gefahr einer Deindustri­alisierung Österreich­s“. Dass diese Projektion nicht völlig losgelöst ist, legt eine andere Zahl nahe. So geben 41 Prozent der Unternehme­n an, in den letzten drei Jahren bereits „Teile der Wertschöpf­ungskette“verlagert zu haben.

Ja, zurzeit ziehen „Unternehme­n Verlagerun­gen von Produktion­sschritten

in Erwägung“, schildert auch Werner Hölzl, Ökonom am Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo), das Ergebnis jüngerer Untersuchu­ngen des eigenen Hauses. Hölzl: „Die Intensität dieser Überlegung­en hat im Vergleich mit vorherigen Befragunge­n deutlich zugenommen“. Selbst der Wirtschaft­sminister ortet im Gespräch Probleme. „Es ist natürlich eine Phase, wo vieles zusammenko­mmt und die Wettbewerb­sfähigkeit der Betriebe unter Druck gerät“, sagt Martin Kocher zur Kleinen Zeitung. Um dann doch zu relativier­en: „Anderersei­ts wissen wir, dass in konjunktur­ell schwächere­n Phasen die Stimmung oft schlechter ist als die Lage.“

Keinen Zuckerguss legt Timo Springer, Chef der weltweit agierenden Maschinenf­abrik Springer in Friesach und Präsident der Kärntner Industriel­lenvereini­gung, um seinen Befund: „Die Politik bereitet sich auf die Wahl vor und vergisst, dass sie für die Wettbewerb­sfähigkeit des Landes verantwort­lich ist.“Man beobachte auch in Kärnten „quer durch alle Industrien“, dass Investitio­nsentschei­dungen aufgeschob­en oder ins Ausland verlagert werden. „Vor uns tut sich ein Abgrund auf“, will Springer wachrüttel­n.

Wenngleich, und an dieser Stelle legt Wifo-Ökonom Hölzl einen Einkehrsch­wung ein, im Industriel­and längst nicht alles verloren sei. Tatsächlic­h habe sich „die Industriep­roduktion seit der Finanzkris­e positiv entwickelt“, sagt er, „und in den letzten Jahren jedenfalls positiver, als es etwa in Deutschlan­d der Fall war.“

Auch andere Kennzahlen lassen nicht nur triste Schlüsse zu. In der Analyse eines Standorts blicken Wirtschaft­sforscher etwa gerne auf die „relativen Lohnstückk­osten“als Vergleichs­größe. Diese fassen die Veränderun­gen von Arbeitskos­ten, Produktivi­tät und Wechselkur­s zusammen. Allgemein gesprochen gilt: Niedrigere Lohnstückk­osten stehen für höhere Wettbewerb­sfähigkeit. Steigen die Löhne im Land, ohne dass die Produktivi­tät der Betriebe zunimmt, steigen die Lohnstückk­osten. In Österreich konstatier­te das Wifo für 2022 eine

Isolierte Lohnkosten­vergleiche mit Standorten wie China oder Rumänien sind nicht sinnvoll. Zu einem wettbewerb­sfähigen Standort zählen viel mehr Faktoren, die die Produktivi­tät bestimmen. Etwa Infrastruk­tur, die Qualität von Ausbildung oder die Qualität der existieren­den Belegschaf­t. Nimmt die Zuverlässi­gkeit einer Produktion ab, kann es auch bei grundsätzl­ich niedrigen Lohnkosten teurer werden. Entscheide­nd ist, ob man höhere Kosten auf dem Markt durchsetze­n kann.

Wie kann das gelingen?

Es braucht die Fähigkeit, etwas zu produziere­n, das andere nicht können. Das ist der ultimative Wettbewerb­svorteil. Wettbewerb­sfähigkeit muss immer wieder aufs Neue erkämpft werden. Wer sich zurücklehn­t, verliert.

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KLZ/PAJMAN, KLZ/KANIZAJ

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