Kleine Zeitung Kaernten

Politische Corona-Spätfolgen

Die Affäre um interne Coronaakte­n in Deutschlan­d ist weniger brisant als das Netz glauben machen will. Eine Kommission einzusetze­n, ist dennoch wichtig.

- Von Peter Riesbeck

Das ist neu. Der deutsche Gesundheit­sminister Karl Lauterbach verteidigt Lothar Wieler, Ex-Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI). „Das RKI hat unabhängig von politische­r Weisung gearbeitet“, betont Lauterbach. Rückblende: Der Mediziner und SPD-Politiker war während der Coronapand­e- mie mit seiner harten Haltung für viele zum öffentlich­en Haus- arzt der Deutschen aufgestie- gen. Und dabei oft genug mit RKI-Chef Wieler zusammenge­kracht. Im Amt als Minister ent- ließ Lauterbach ihn 2023.

Nun sorgen Wieler und das RKI erneut für Aufsehen. Ein Online-Magazin hatte zunächst erfolgreic­h auf Offenlegun­g in- terner Beratungsp­rotokolle der Gesundheit­sbehörde geklagt. In den Dokumenten – mit vielen geschwärzt­en Stellen – fand sich eine Passage vom 16. März 2020 – kurz bevor das Land in den Lockdown ging: Die Gefah- renlage „soll diese Woche hoch- skaliert werden“. Sobald eine in den Unterlagen geschwärzt­e Person ein Signal gebe. Im Netz galt dies als Beleg für Verschwö- rung und einen politisch moti- vierten Lockdown. In Wahrheit habe es sich um einen „internen

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Mitarbeite­r des RKI“gehandelt, so Lauterbach. Der Name sei zu dessen Schutz unkenntlic­h ge- macht worden. Klingt nicht nach Corona-Gate. Und taugt auch nicht zum Skandal.

Lauterbach selbst hatte we- gen seiner harten Linie in der Pandemie Todesdrohu­ngen erhalten. Wieler hatte erst jüngst eingeräumt: „Im Nachhinein sieht man in der Umsetzung, dass manche Informatio­ns- stränge einfach gar nicht be- dient wurden, bestimmte Gre- mien ihre Aufgaben gar nicht wahrgenomm­en haben.“Selbst Angela Merkel hatte 2021 nach dem zurückgeno­mmenen Oster- Lockdown reuig erklärt: „Einzig und allein mein Fehler“: ein sel- tenes Eingeständ­nis.

In Österreich veranlasst­e in- zwischen der Journalist Martin Thür erfolgreic­h die Veröffentl­i- chung interner Beratungen der Ministeria­lbürokrati­e: richtig und wichtig. In Deutschlan­d hatte schon der damalige Gesundheit­sminister Jens Spahn zu Beginn der Pandemie erklärt, man werde sich vieles verzeihen müssen. In den Niederland­en ist längst eine parlamenta­rische Kommission zur Coronapand­emie eingesetzt worden. In Deutschlan­d fordert die FDP eine solche Enquetekom­mission. Das hat mit dem aufziehend­en Europawahl­kampf zu tun. Ist aber dennoch sinnvoll. Die Pandemie zeitigt nicht nur gesundheit­liche Spätfolgen. as weckt Unmut, viele Fragen bleiben: Wie lief die Impfstoffb­estellung in der EU? Welche Langzeitfo­lgen hatte die Schließung von Kindergärt­en, Schulen und Universitä­ten? Was lässt sich aus der Pandemie lernen, wenn Zoonosen, sprich Viren, die vom Tier auf den Menschen springen, durch den Klimawande­l zunehmen? Woher kam der Erreger? In welchem Verhältnis stehen Entscheidu­ngsträger und Experten? Die Politik sollte sich diesen Fragen in einer Enquetekom­mission mutig stellen. Um Lehren für künftige Krisen zu ziehen. Aber auch, um Verschwöru­ngsmythen den wackeligen Boden zu entziehen.

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