Politische Corona-Spätfolgen
Die Affäre um interne Coronaakten in Deutschland ist weniger brisant als das Netz glauben machen will. Eine Kommission einzusetzen, ist dennoch wichtig.
Das ist neu. Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach verteidigt Lothar Wieler, Ex-Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI). „Das RKI hat unabhängig von politischer Weisung gearbeitet“, betont Lauterbach. Rückblende: Der Mediziner und SPD-Politiker war während der Coronapande- mie mit seiner harten Haltung für viele zum öffentlichen Haus- arzt der Deutschen aufgestie- gen. Und dabei oft genug mit RKI-Chef Wieler zusammengekracht. Im Amt als Minister ent- ließ Lauterbach ihn 2023.
Nun sorgen Wieler und das RKI erneut für Aufsehen. Ein Online-Magazin hatte zunächst erfolgreich auf Offenlegung in- terner Beratungsprotokolle der Gesundheitsbehörde geklagt. In den Dokumenten – mit vielen geschwärzten Stellen – fand sich eine Passage vom 16. März 2020 – kurz bevor das Land in den Lockdown ging: Die Gefah- renlage „soll diese Woche hoch- skaliert werden“. Sobald eine in den Unterlagen geschwärzte Person ein Signal gebe. Im Netz galt dies als Beleg für Verschwö- rung und einen politisch moti- vierten Lockdown. In Wahrheit habe es sich um einen „internen
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Mitarbeiter des RKI“gehandelt, so Lauterbach. Der Name sei zu dessen Schutz unkenntlich ge- macht worden. Klingt nicht nach Corona-Gate. Und taugt auch nicht zum Skandal.
Lauterbach selbst hatte we- gen seiner harten Linie in der Pandemie Todesdrohungen erhalten. Wieler hatte erst jüngst eingeräumt: „Im Nachhinein sieht man in der Umsetzung, dass manche Informations- stränge einfach gar nicht be- dient wurden, bestimmte Gre- mien ihre Aufgaben gar nicht wahrgenommen haben.“Selbst Angela Merkel hatte 2021 nach dem zurückgenommenen Oster- Lockdown reuig erklärt: „Einzig und allein mein Fehler“: ein sel- tenes Eingeständnis.
In Österreich veranlasste in- zwischen der Journalist Martin Thür erfolgreich die Veröffentli- chung interner Beratungen der Ministerialbürokratie: richtig und wichtig. In Deutschland hatte schon der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn zu Beginn der Pandemie erklärt, man werde sich vieles verzeihen müssen. In den Niederlanden ist längst eine parlamentarische Kommission zur Coronapandemie eingesetzt worden. In Deutschland fordert die FDP eine solche Enquetekommission. Das hat mit dem aufziehenden Europawahlkampf zu tun. Ist aber dennoch sinnvoll. Die Pandemie zeitigt nicht nur gesundheitliche Spätfolgen. as weckt Unmut, viele Fragen bleiben: Wie lief die Impfstoffbestellung in der EU? Welche Langzeitfolgen hatte die Schließung von Kindergärten, Schulen und Universitäten? Was lässt sich aus der Pandemie lernen, wenn Zoonosen, sprich Viren, die vom Tier auf den Menschen springen, durch den Klimawandel zunehmen? Woher kam der Erreger? In welchem Verhältnis stehen Entscheidungsträger und Experten? Die Politik sollte sich diesen Fragen in einer Enquetekommission mutig stellen. Um Lehren für künftige Krisen zu ziehen. Aber auch, um Verschwörungsmythen den wackeligen Boden zu entziehen.
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