„Der Staat ist gefordert, Gewalttaten einzudämmen“
Nach neuerlichen Gewalttaten durch Jugendliche debattieren Leserinnen und Leser über Ursachen und auch Möglichkeiten, die Zahl Vorfälle mit jungen Straftätern zu senken.
zuständigen Stellen gefordert, um diesen inakzeptablen Zu- stand zu ändern. Unbelehrbare Mehrfachtäter müssen abge- schoben oder, wenn das aus hu- manitären Gründen nicht mög- lich ist, in einem geschlossenen Vollzug gebessert werden. Unser Staat hat mit seinen eigenen kriminellen Jugendlichen seine liebe Not.
Läuterung ist möglich
Ein jugendlicher Straftäter un- ter 14 Jahren, der imstande ist, eine Frau zu vergewaltigen, oder Verbrechen gegen Leib und Le- ben auszuführen, der sollte auch ohne falsches Mitleid zur Ver- antwortung gezogen werden. Ich könnte mir vorstellen, dass man so jemanden zumindest be- dingt verurteilen könnte, in manchen Fällen könnte Arbeit auf einer geeigneten Farm in ei- nem Dritte-Welt-Land hilfreich sein. So ein junger Mensch könn- te seine Energien in der Land- wirtschaft einbringen und dort auch eine geeignete Ausbildung bekommen. Belohnung für ein Engagement bei der Arbeit könnte sein, dass es für eine ent- sprechende Zeit einen Internet- zugang gibt, oder andere inte- ressante Betätigungen in der Freizeit, wie Teilnahme bei Hilfsprojekten von diversen Or- ganisationen.
Ich kann mir vorstellen, dass nach ein, zwei Jahren Erfahrung in Afrika manche dieser Leute dann motiviert und geläutert zurückkommen und einen neu- en Start schaffen.
Würde als Antrieb
Anfang der Neunzigerjahre hat James Gilligan (er war in der Be- treuung von Gewaltverbrechern tätig) publiziert, dass Gewalt ih- re Ursache und ihren Auslöser im Beschämen (shaming) habe. Es passt ins Bild. Wer lässt sich beschämen? Menschen mit he- teronomer Moral. Kinder und Ju- gendliche, Menschen der Ehre, alle, die einen Wertekodex unge- prüft übernommen haben. Mit dem Rückgang in den Religionen,
mit dem Aussterben der Altfaschisten hatte sich die Gewaltsituation bei uns gebessert. Jetzt kommt sie wieder in Fahrt: Es sind vor allem Menschen gewalttätig, die aus Gesellschaften der Ehre kommen. Femizide heißen nicht umsonst auch Ehrenmorde.
Was auf lange Sicht helfen kann? Lasst die Kinder autonome Moral entwickeln. Das ist mühsam, es kostet Sicherheit, aber der Lohn ist Würde, die nicht als eine Art Beipacktext mit der Geburt mitkommt. Sie macht es möglich, Gesetze als Vereinbarungen zu sehen, an die man sich hält. Ein Mensch mit Würde steht nicht über oder unter dem Gesetz. Ein Mensch mit Würde hat das Gesetz gemacht. Wissenschaft profitiert vom Paradigmenwechsel. Aber oft zahlt es sich aus, ältere Literatur zu lesen. Man muss nicht jedes Rad neu erfinden wollen, man kann auf den Schultern derer stehen, die es bereits erfunden haben.
„Starker Anstieg bei den jüngsten Straftätern“, 26. 3. und „Was ist denn bloß in Favoriten los“, 20. 3.