Der lange vergessene Horror
Der Film „Des Teufels Bad“beruht auf Tatsachen. Kathy Stuart hat Fälle von Frauen dokumentiert, die Mörderinnen wurden, weil sie selbst sterben wollten.
In „Des Teufels Bad“wird eine Frau zur Kindsmörderin, weil sie zu Tode verurteilt und hingerichtet werden will. Nicht nur wegen seiner Machart und der intensiven Darstellung von Anja Plaschg ist aus diesem Stoff einer der bemerkenswerten Horrorfilme der letzten Jahre geworden, sondern auch, weil er auf Tatsachen beruht. 1762 hat Eva Litzlfellner in Oberösterreich ein Kind getötet und sich danach in die Hände der Justiz begeben. Ein schreckliches Verbrechen einer offenbar depressiven Frau, die kein anderes Mittel mehr sah, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Kein Einzelfall.
Die US-Historikerin Kathy Stuart belegt in ihrer Studie „Suicide by Proxy“für die Zeit zwischen 1650 und 1800 Hunderte solcher Fälle von „mittelbarem Suizid“. Weil Selbstmördern ewige Verdammnis sicher war, haben Menschen – vor allem jüngere Frauen – ein schweres Verbrechen begangen, um hingerichtet zu werden. Dabei handelte es sich vor allem um Kindsmorde, aber auch um Sodomie sowie Blasphemie. In Wien, eine der wenigen Gegenden im deutschsprachigen Raum, wo auf Blasphemie die Todesstrafe stand, ist in jener Zeit deshalb ein Anstieg der Schändung von Hostien und Kruzifixen zu verzeichnen.
entgingen die Delinquenten der unvermeidlichen Verdammnis und hatten die Chance auf einen brutalen, aber „guten“Tod als reuige Sünder. So scheint eine öffentliche Hinrichtung in jener Zeit nicht nur ein grausames Schauspiel gewesen zu sein, das die Schaulust befriedigte, sondern auch ein religiöses Spektakel der Läuterung. Kathy Stuart hat ihre Fälle vor allem aus Wien und Hamburg zusammengetragen, auch die Causa Litzlfellner, die mit einem ähnlich gelagerten zweiten Vorfall
Mit der Hinrichtung
zum Vorbild für den Film geworden ist.
Das Phänomen war so verbreitet, dass in manchen Städten Deutschlands „mittelbarer Suizid“zeitweilig der häufigste Grund für Hinrichtungen gewesen ist. Die Gerichtsakten sprechen oft vom Motiv des „Lebensüberdrusses“der Täterinnen und Täter, die sich im Normalfall direkt nach der Tat den Behörden gestellt haben. Und die Obrigkeit wusste genau um die Motive, hatte aber keine Mittel, um die Taten zu unterbinden. Desto härter das System auf diese Vergehen reagierte, desto vulnerabler wurde es: Denn die Strafe war das Ziel der Täter.
Trotz all dem war das Phänomen schnell vergessen. Kathy Stuart: „Kindsmörderinnen wurden nach 1770 fast entkriminalisiert. Also die typischen Formen dieser Taten, wo uneheliche Mütter versucht haben, ihre Schwangerschaft zu verheimlichen. Die Frauen, man sieht das beispielhaft am Gretchen in Goethes ,Faust‘, wurden als Opfer gesehen.“Die Kindsmörderinnen aus Depression waren aber keine Opfer, sondern Täterinnen. Frauen, die das System benutzten, um zu bekommen, was sie wollten: „Sie haben den Mord oft ungemein hinterlistig begangen. Für die Obrigkeit und die lesende Öffentlichkeit, also das gerade entstehende Bildungsbürgertum Ende des 18. Jahrhunderts, sind die Hinterlistigkeit und die
Handlungsmacht dieser Frauen unerträglich. Das widersprach dem Frauenbild der Aufklärung.“
Da solche Taten nur Extremfälle markieren, ist die Vermutung naheliegend, dass die Dunkelziffer an „Lebensüberdrüssigen“, heute würde man sagen: Depressiven, beträchtlich gewesen sein muss. Die Melancholie als Entfremdung, Vereinsamung, Traurigkeit, sozialem Desinteresse und Antriebslosigkeit ist natürlich seit der Antike dokumentiert und wurde unter anderem als Überschuss des (in Wahrheit nicht existierenden) Körpersaftes der „Schwarzen Galle“gedeutet.
noch ein komplexes Verhältnis zur Melancholie hatte, wurde sie im christlich geprägten Mittelalter zur Sünde. Das änderte sich in der Renaissance radikal, wo man auch den aus der Antike stammenden Gedanken einer Verbindung zwischen Schaffenskraft und Traurigkeit wiederentdeckte. Der Philosoph Marsilio Ficino (1433-99) beschreibt diesen Seelenzustand „als ausschließliches Leibgeding der Dichter, Künstler, Fürsten und besonders der wahren Philosophen“. Aus dieser angenommenen Verbindung zwischen tiefen Gedanken und tiefer Traurigkeit ist letztlich auch der bis heute weitverbreitete Topos vom unglücklichen Künstler entstanden, dessen Kreativität
Während die Antike Albrecht Dürer, „Melencolia I“, Kupferstich, 1514. Für den RenaissanceKünstler war die Schwermut vermutlich ein Symptom der Genialität. Code scannen
für das Gespräch mit Kathy Stuart.
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mit seelischem Leiden einhergeht. Nicht nur angesichts der von Stuart dokumentieren Fälle von depressiven Bäuerinnen und Handwerkern ist eine Darstellung der Melancholie als Intellektuellenkrankheit überholt. Die Depression ging offenbar durch alle Schichten.
Historisch wurde immer wieder argumentiert, dass das naturwissenschaftliche Wissen Depressionen in der Neuzeit begünstigt habe: die Erkenntnis des unendlichen Weltalls, religiöse Zweifel durch Reformation, Glaubenskriege und dergleichen. Die Depression als Zeitkrankheit: heute geradezu ein Gemeinplatz. Die „Volkskrankheit“Depression zählt zu den häufigsten der Gegenwart. Immer wieder wird vom massiven Anstieg der Depressionserkrankungen berichtet, wobei ein Teil davon vermutlich einfach durch die erhöhte gesellschaftliche Aufmerksamkeit bedingt ist. Kathy Stuart: „Da bleibt historisch noch sehr viel Platz für die Forschung, aber ich bin der Meinung, es ist jedenfalls falsch zu sagen, dass wir heute so viel depressiver seien als die Menschen im 17. Jahrhundert.“
Veronika Franz und Severin Fiala wurden über einen Podcast auf Kathy Stuarts Forschungen aufmerksam und haben sie kontaktiert. Stuart, die beim Filmdreh als historische Beraterin fungierte, ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden: „Viele Quellen dokumentieren die extreme Belastung und Bedrückung, mit der diese Frauen leben mussten. Das zeigt der Film sehr gut.“