Derbe Post aus Littlehampton
„Very british“: Die großen Schauspielerinnen Oliva Colman und Jessie Buckley in einer Komödie über eine spießige Kleinstadt.
Das ist wahrer, als sie denken”. Dieses Motto stellt Regisseurin Thea Sharrock ihrem kleinen, feinen Film „Wicked Little Letters“voran. Und tatsächlich passierte die Geschichte fast genau so vor etwas mehr als 100 Jahren im beschaulichen englischen Küstenstädtchen Littlehampton. Heute wäre es ein Fall von Cybermobbing und anonymer Onlinebelästigung. Damals ermöglicht das hoch verlässliche Postsystem des Royal Mail Service das Verschicken der „kleinen schmutzigen Briefe“.
Empfängerin
ist ausgerechnet die ehrbare christliche Junggesellin Edith Swan, die mit 50 noch bei ihren Eltern lebt, dem grantigen Patriarchen Edward und seiner stillen Frau Victoria. Nicht nur die Namen sind in dieser Geschichte „very british“, auch der betont höfliche Umgangston der bibelfesten Kleinbürger. Umso mehr schockieren die obszönen Briefe voller Flüche und sexueller Beleidigungen, die Edith und andere Einwohner von Littlehampton bekommen. Schnell fällt der Verdacht auf Rose Gooding, die neue irische Nachbarin in der Reihenhaussiedlung. Denn die flucht gerne und schert sich auch sonst nichts um soziale Konventionen.
Die Witwe und Mutter eines unehelichen Kindes lebt mit einem schwarzen Mann zusammen – im England der Zwischenkriegszeit beides skandalös. Klar, dass die hinzugezogene Polizei sie schnell als Hauptverdächtige im Visier hat. Die Klassenkonflikte samt viktorianischen Vorstellungen, wie eine Frau zu sein und zu leben hat, sind unübersehbar. Das konterkariert die gelernte Londoner Theaterregisseurin Thea Sharrock mit einem positiven Blick auf Frauensolidarität inmitten der bürgerlichpatriarchalen Strukturen. Genüsslich kostet sie dabei die Empörung über die schmutzigen Worte aus – im englischen Original herrlich derb. Das bringt komödiantische Frische in den ansonsten recht braven Kostümfilm. Die Aufklärung des Rätsels, wer hinter den schmutzigen Briefen steckt, gestaltet sich dann eher als comichafte
Schnitzeljagd, angeführt von der jungen indischstämmigen Polizistin Gladys Moss.
Was die nette
kleine Komödie auszeichnet, ist das vorzügliche Schauspielensemble. Allen voran Olivia Colman und Jessie Buckley, die sich in Maggie Gyllenhaals starkem Regiedebüt „The Lost Daughter“bereits eine Figur teilten. Auch die Nebenrollen sind mit Timothy Spall als Vater sowie Anjana Vasan als Polizistin gut besetzt. Auch wenn „Kleine schmutzige Briefe“nicht so frech und frisch ist wie seine Protagonistin Rose, macht er doch Spaß und bietet eine gute Alternative zu aktuellen royalen Verschwörungstheorien aus Great Britain.