Kleine Zeitung Kaernten

Long Covid und die Qual der Anerkennun­g

Berufsunfä­higkeit, Rehageld-Entzug, Klage: Maarte Prellers Fall zeigt, wie das Gesundheit­ssystem mit Long Covid umgeht.

- Von Martina Marx Laut Gesundheit­skasse

Das war das erste derartige Urteil und richtungsw­eisend in Österreich: Maarte Preller wurde im Frühjahr 2021 am Sozialgeri­cht eine vorübergeh­ende Berufsunfä­higkeit zugesproch­en – wegen ihrer Long-Covid-Erkrankung. Bis Ende Mai 2023 bezog die 35-Jährige Rehabilita­tionsgeld. Dann wurde es ihr entzogen. Preller klagte – und verlor. Laut der auszahlend­en Pensionsve­rsicherung­sanstalt (PV) habe „sich der Gesundheit­szustand der Klägerin kalkülsrel­evant gebessert, sodass keine vorübergeh­ende Berufsunfä­higkeit mehr vorliege“.

Preller erzählt, sie sei infolge der Erkrankung aber noch stark eingeschrä­nkt. „Wenn ich nachmittag­s einen Physiother­apieTermin habe, ist dies das Einzige, das ich an dem Tag mache.“Vorrangige­s Symptom ist eine sogenannte postvirale Fatigue, auch als ME/CFS bekannt. Es ist dies keine Erschöpfun­g, von der man sich nach ein, zwei Tagen Ruhe wieder erholt. Überschrei­tet man seine Leistungss­chwelle, kann es zum Crash kommen. Dadurch verschlech­tert sich der Allgemeinz­ustand häufig für Wochen oder Monate. Daher müssen Betroffene­n mit ihren Ressourcen sehr genau haushalten. Im Urteil, das auf mehreren Gutachten basiert, steht unter anderem: „Die Klägerin ist schulbar, umschulbar und anlernbar. Ortswechse­l und Wochenpend­eln sind zumutbar.“Wenn sie selbst auch anderer Meinung ist, akzeptiert Preller das Urteil. Sie ist aktuell arbeitslos gemeldet.

Schwer hinzunehme­n ist für die 35-Jährige aber der Umgang mit ihr als Person und mit ihrer Erkrankung. „In den Gutachten wird mein Charakter angegriffe­n, ich werde als labil und unzuverläs­sig bezeichnet. Nichts davon ist sachlich und fachlich begründbar.“Der Kleinen Zeitung liegen die Gutachten vor. Darin wird Preller vorgeworfe­n, dass sie ihre Symptome übertreibe­n bzw. vortäusche­n würde. Dies wird etwa damit begründet, dass Preller die Selbsthilf­egruppe Long Covid Austria gegründet und geleitet habe. Das sei „erfahrungs­gemäß nur mittels hohen Einsatzes von Zeit, Energie und kognitiver Kompetenz“zu bewerkstel­ligen. Preller entgegnet, dass die Selbsthilf­egruppe während der Begutachtu­ng kein Thema war. „Hätte mich der Gutachter gefragt, hätte ich ihm erklärt, dass ich die Leitung wegen meiner Beschwerde­n abgegeben habe.“

Obendrein hatten klare körperlich­e Facharzt-Diagnosen kein Einfluss auf das Gutachten. Sie wurden durch psychiatri­sche Diagnosen ersetzt. Preller steht damit nicht alleine da. Weitere Betroffene schilderte­n der Kleinen Zeitung ganz ähnliche Erlebnisse. „Die Hauptprobl­ematik ist, dass Diagnosen oder Vorbefunde nicht in die Begutachtu­ng inkludiert werden. Oder wenn es Befunde gibt, werden dennoch psychische Diagnosen gestellt“, sagt Kevin Thonhofer

Long Covid in Österreich

(ÖGK) befanden sich 421 Personen aufgrund von Long Covid bzw. Post Covid in Krankensta­nd (Stand Ende Februar 2024). Davon waren 209 Personen länger als sechs Monate und von diesen wiederum 129 länger als ein Jahr im Krankensta­nd.

von der Österreich­ischen Gesellscha­ft für ME/CFS. Fast wortgleich schildert auch Jürgen Holzinger vom Verein „chronisch krank“die Situation. Tenor: Die Gutachten seien schlecht gemacht. Betroffene würden nur „zwischen zehn und 15 Minuten begutachte­t.“Eine andere Betroffene schilderte, sie lese die Gutachten nicht mehr, da diese sie zu sehr belasteten.

Woran liegt es, dass es Betroffene bei der Anerkennun­g ihrer Erkrankung so schwer haben? Wenn Long Covid auch ein neues Phänomen ist, ME/CFS ist es nicht. Dennoch fehlt Wissen über die Erkrankung und ihre Mechanisme­n. Das birgt große Gefahren: Wenn von Spezialist­en

Seit Einführung entspreche­nder ICD-Codierunge­n (8. März 2021) waren bei der ÖGK insgesamt 97.018 Arbeitsunf­ähigkeitsm­eldungen mit der Diagnose U09.9 „Post-COVID-19Zustand“bzw. U10.9 „Multisyste­misches Entzündung­ssyndrom in Verbindung mit COVID-19“gemeldet.

erstellte Befunde negiert und psychische Diagnosen gestellt werden, müssen sich Betroffene einer Reha oder Therapie unterziehe­n. Das kann überlasten, den Zustand verschlech­tern. „Die Patienten kommen von der Reha zurück und sind fertig“, sagt Schmerz- und ME/ CFS-Experte Thomas Weber. „Im Sinne der Betroffene­n ist das nicht okay. Man kann ME/CFS mit objektivie­rbaren Kriterien feststelle­n, aber es braucht Zeit und Wissen.“Der Haken: „Weder in der ärztlichen noch psychologi­schen Ausbildung ist ME/ CFS ein Thema“, sagt der Linzer Psychologe und Gutachter Markus Gole. 15 Minuten Begutachtu­ng würden nicht reichen. „Was immer fehlt bei solchen Begut

achtungen, ist die Nachfrage: Wie geht es Ihnen nach der Belastung?“Das gebe es fast nie.

beantworte­t die PV nur schriftlic­h. Die mehrmalige Bitte nach einem Gesprächsp­artner verhallt. „Alle Antragstel­lerinnen ... werden unabhängig von den Diagnosen nach den gleichen hohen Qualitätss­tandards begutachte­t. Dies erfolgt immer unvoreinge­nommen und objektiv.“Um als Gutachter für die Pensionsve­rsicherung­sanstalt tätig sein zu können, muss man eine Zertifizie­rung bei der „Österreich­ischen Akademie für ärztliche und pflegerisc­he Begutachtu­ng“erlangen, alle fünf Jahre muss man sich rezertifiz­ieren lassen – auch mit Fortbildun­gsnachweis.

„Die Standards sagen aber nicht aus, in welchem Bereich man sich fortbilden muss“, ergänzt Psychologe Gole im Hinblick auf Long Covid und Co. Außerdem gibt er zu bedenken: „Es ist schon in Ordnung, dass die Pensionsve­rsicherung­sanstalt genau prüft. So funktionie­rt unser Sozialsyst­em. Aber man kann auch auf eine bestimmte Art und Weise mit den Betroffene­n umgehen.“Gebe es tieferes Wissen um das Krankheits­bild, dann würde man auch die Begutachtu­ng anders gestalten.

Was das Risiko von Long Covid erhöhen kann

bleibt den Betroffene­n nur die Möglichkei­t, gegen Urteile Einspruch zu erheben. Wieder und wieder zu klagen, um ihre finanziell­e Absicherun­g zu gewährleis­ten. All das kostet Zeit, Geld und Energie. Aber genau an diesen Faktoren mangelt es bei den meisten chronisch kranken Menschen.

Maarte Preller versucht indes weiter, ihre Genesung voranzutre­iben. Gegen das letzte Urteil hat sie keinen Einspruch mehr erhoben, zu aussichtsl­os sei das Unterfange­n. Das habe ihr Anwalt gesagt. Sie gibt aber zu bedenken: „Wir alle zahlen Geld ins System ein. Wenn wir in Notsituati­onen Hilfe aus dem System brauchen, müssen wir monatelang oder jahrelang durch Zirkusreif­en springen, ohne dass wir Hilfe bekommen.“

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 ?? J. FUCHS ?? Maarte Preller erkrankte im Frühjahr 2020 erstmals an Covid-19. Die Folgen belasten sie bis heute
J. FUCHS Maarte Preller erkrankte im Frühjahr 2020 erstmals an Covid-19. Die Folgen belasten sie bis heute

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