Sturmlauf auf die Trutzburg Küniglberg
Die Lehren aus dem Transparenzberichts der ORF-Spitzengehälter Die Aufregung um die ORF-Spitzengehälter ist berechtigt. Doch sie lenkt ab von noch viel bedenklicheren demokratiepolitischen Problemen rund um den ORF.
Roland Weißmann verdient jährlich 100.000 Euro mehr als Karl Nehammer. Dieses Missverhältnis der Gehälter von ORF-Generaldirektor und Bundeskanzler ist keine Besonderheit. Das gilt sowohl für den Vergleich mit anderen Staaten als auch zwischen Politik und Wirtschaft. Der Markt bietet höhere Einkommen als das professionelle Engagement für die Gesellschaft. Eine Grundsatzdiskussion, ob das gerecht ist, hat keine öffentliche Chance. Weißmann beklagt zu Recht eine Neiddebatte. Dass das Medienhaus als einziges öffentliches finanziertes Unternehmen die Topverdiener namentlich ausweisen muss, widerspricht einer nationalen Kultur der Verschwiegenheit. Dieser schlagartige Wechsel zu Transparenz stellt die 58 Bestverdiener des öffentlichrechtlichen Rundfunks nicht nur bloß, sondern an den Pranger von Boulevardblättern und Social Media. hinkt aber nicht nur, weil die BBC sechsmal so viel Umsatz und Angestellte hat wie das Einmilliardenunternehmen
ORF mit seinen 3425 Mitarbeitern. In Österreich fallen selbstständige Vertragspartner wie Herbert Prohaska nicht unter die Transparenzpflicht.
Die Chefetage des ORF liegt aber auch hoch im Sprachraumvergleich. In Deutschland ist Tom Buhrow mit 433.000 Euro (Kanzler Olaf Scholz bekommt 362.000) der bestverdienende ARDIntendant. Sein WDR macht 1,5 Milliarden Um- satz und hat 4200 Mitarbeiter. Etwas mehr als das ZDF (2,4 Mrd. €), dessen Chef Norbert Himmler zuletzt 372.000 Euro Grundgehalt bezog.
Und das, obwohl der Durchschnittsverdienst für 2943 Vollzeitjobs im ORF 2022 bei 91.400 Euro brutto lag. Dabei gibt es auch innerhalb des Hauses ein enormes Gehaltsgefälle, weil aktuell vier Kollektivverträge parallel in Kraft sind. Auch das sorgt dafür, dass die Rückstellungen für Ruhebezüge jährlich bereits mehr als 100 Millionen Euro ausmachen. Doch als BallastDevise gilt nicht nur: je älter, desto besser, sondern auch: je männlicher, umso höher. Nur ein Viertel der 651 über 100.000 Euro jährlich verdienenden Mitarbeiter sind weiblich.
Der mangelnde Personalmarkt
Auch abgesehen vom internationalen Vergleich ist die Verteidigungsstrategie des ORF, es handle sich um marktgerechte Gagen, zu hinterfragen. Von Österreichs größter Privatfernsehgruppe rund um Puls 4 und ATV (P7S1P4) würde kein journalistischer Mitarbeiter, auch nicht Topführungskräfte, in der Gagen-Transparenzliste ab 170.000 Euro auftauchen. Bei ServusTV halten sie sich zwar noch bedeckter, doch dürfte es dort – abgesehen von vielleicht einer Handvoll Ausnahmen – ähnlich sein. Der Ausdruck „marktgerecht“ist eine Täuschung. Diesen Personalmarkt gibt es nicht, obwohl P7S1P4 mit 600 Mitarbeitern fast 600 Millionen Euro Bruttowerbeinnahmen erzielt und damit wie auch im Publikumsmarktanteil bei den unter 50-Jährigen vor dem ORF liegt. Armin Wolf (jährlich 253.000 plus monatlich 3800 Zusatzverdienst) ist die wahrscheinlich einzige Ausnahme der Topverdiener, der in einem anderen Unternehmen deutlich mehr als im ORF bekommen würde.
Der zugleich mit dem ersten Transparenzbericht veröffentlichte Ethikkodex aber droht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn er schränkt durch harte Unvereinbarkeitsregeln nicht nur die Möglichkeiten für Nebenverdienste der ORF-Angestellten ein. Die neuen Verhaltensregeln gelten „auch für Personen, deren Verhalten in der öffentlichen Wahrnehmung dem ORF zugerechnet werden“können. Angesichts der mangelnden gesellschaftlichen Medienmündig
keit trifft dies aber schon auf Experten zu, die häufig in Programmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auftreten. Aus der Auslegung des Ethikkodex entsteht also eine neue Machtposition im ORF.
Die türkis-grüne Koalition schüttet Wasser auf die Mühlen der FPÖ.
Neben diesen politisch fatalen Rahmenbedingungen droht ein demokratiepolitisch übler Wettbewerbsverlust im Fernsehmarkt. Wenn der Machtkampf bei Red Bull gegen einen Hauptsitz Österreich ausgeht, ist die Existenz des Tochterunternehmens ServusTV gefährdet. Wenn der Machtkampf bei ProSiebenSat.1 für den von Berlusconi geführten größten Gesellschafter ausgeht, ist die Zukunft von Puls24 ungewiss. Und auf dem Nebenschauplatz Hörfunk rüstet der stärkste ORFKonkurrent Kronehit mit neuen Digitalsendern zum Sturm auf Ö 3. Die Diskussion über die dort bezahlten Gagen lenkt ab. Die öffentlich-rechtliche Trutzburg braucht viel tiefgreifendere Reformen.