Gelebte Moral statt dem Ruf nach dem Richter
s ist ein wiederkehrendes Thema, das uns in diesem Wahljahr noch öfter beschäftigen wird: Soll es dabei bleiben, dass Kinder erst mit 14 Jahren strafmündig sind? Oder sollen sich schon Zehn- oder Zwölfjährige vor dem Strafrichter verantworten müssen? Das Unbehagen mit der derzeitigen Altersgrenze ist verständlich. Denn immer wieder wird berichtet, dass Kinder Straftaten begehen, aber nicht zur Verantwortung gezogen werden können, weil sie noch unmündig sind. Ob es mehr Fälle geworden sind oder ob die Aufmerksamkeit dafür gestiegen ist, mag offen sein. Tatsache aber ist, dass Verhalten in erster Linie am Strafrecht gemessen wird. Was nicht strafbar ist, scheint akzeptabel zu sein.
Für mich ist das eine Fehlentwicklung. Denn eine Gesellschaft braucht eine „Normalmoral“, einen Maßstab, an dem das alltägliche Verhalten zu messen ist. Dabei hilft es, sich zu fragen, ob es anständig ist, sich so zu verhalten; ob man sich noch in den Spiegel schauen kann, wenn man etwas tut oder unterlässt. Was sich gehört und was sich nicht gehört, kann ja nicht von oben verordnet werden, sondern muss gelebt und damit vorgelebt werden. nstand sollte auch für die Politik kein Fremdwort sein. Gerade in einem Wahljahr ist die Versuchung groß, mit Schlagworten und Überschriften etwas vorzuspiegeln. Was wir brauchen, sind aber Ideen und Vorhaben, wie wir unsere Gegenwart und Zukunft gestalten wollen. Dazu muss zuerst das Bewusstsein geschaffen werden, dass es um unser gemeinsames Leben geht, zu dem wir alle im Guten wie im Schlechten beitragen. Gelingt uns das, dann können wir hoffen, dass auch Kinder sich als Teil davon sehen - und nicht nur der Ruf nach dem Strafrichter als scheinbarer Ausweg bleibt.
war Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und Abgeordnete der Neos zum Nationalrat.
E„Was sich gehört und was sich nicht gehört, kann nicht von oben verordnet werden, sondern muss vorgelebt werden.“
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