Kleine Zeitung Kaernten

„Russland führt Krieg gegen den Westen“

Russische Spionage, Terrorismu­s, Erstarken der politische­n Ränder: Terrorfors­cher Peter Neumann, Geopolitik-Expertin Velina Tchakarova und Publizist Veit Dengler über die großen sicherheit­spolitisch­en Baustellen. Worauf sich Europa sicherheit­spolitisch ei

- Von David Knes Veit Dengler Peter R. Neumann Laut dem Publiziste­n

ie Schlagzeil­en der letzten Wochen könnten aus einem mittelmäßi­gen Thriller stammen. Da ging es um Geheimdien­ste, falsche Identitäte­n, Spionage, Desinforma­tion. Welch ernste Konsequenz­en die jüngsten Ereignisse fernab von Hollywood hierzuland­e haben, führte der Terrorfors­cher Peter Neumann in der Diskussion­srunde der Kleinen Zeitung aus. Zur Frage, inwiefern Nachrichte­n wie jene über den Ex-Verfassung­sschützer Egisto Ott, der mutmaßlich für Russland spioniert hat, Österreich schaden, betont Neumann den Vertrauens­verlust von Verbündete­n. Besonders kleine Geheimdien­ste seien auf Informatio­nen von Partnern angewiesen, um Gefahren abzuwehren. Doch „wenn man das Gefühl hat, gewisse Informatio­nen sind bei einem Dienst nicht sicher, dann werden

Ddiese nicht mehr weitergege­ben.“Dass russische Spionage und offensicht­liche Beeinfluss­ung der Öffentlich­keit nicht für einen viel größeren Aufschrei sorgt, wundert Neumann: „Das müsste ein Skandal sein, vor allem für Parteien, die für Souveränit­ät des Landes stehen – ist es aber nicht.“Er führt auch das Dilemma der Demokratie ins Treffen: „Wir haben das Wertegerüs­t erschaffen, das dies überhaupt möglich macht. Unsere größte Stärke macht uns also auch angreifbar“.

Für die Geopolitik-Expertin Velina Tchakarova sind die Desinforma­tionskampa­gnen nur eines von vielen Instrument­en der hybriden Kriegsführ­ung Moskaus, sie spricht Rohstoffab­hängigkeit­en, Cyberangri­ffe, das Schaffen von Migrations­druck zusammen mit Weißrussla­nd, das Verbreiten von Propaganda und die Einflussna­hme

Zu den Personen

ist Terrorismu­sforscher, Politologe und Autor. 2008 gründete Neumann das „Internatio­nal Centre for the Study of Radicalisa­tion (ICSR)“am King’s College in London.

auf politische Akteure (im rechten wie im linken Spektrum) an. Und: Moskau habe den Präzedenzf­all der nuklearen Erpressung geschaffen, will als erstes Land überhaupt mit Drohungen territoria­le Gewinne legitimier­en. Sind wir also im Krieg mit Russland? Nicht im kinetische­n Sinn – dieser beschränke sich auf die Ukraine –, doch wenn es um nichtkonve­ntionelle Methoden geht, sagt Tchakarova, „ja, da führt Russland einen Krieg gegen uns“.

und NeosPoliti­ker Veit Dengler habe man diese Bedrohung viel zu lange unterschät­zt: „Die Europäer haben

im Sicherheit­s-Disneyland gelebt, man dachte, alle wollen Frieden.“Er nennt den Konflikt zwischen China, Russland und dem Westen „keinen neuen Kalten Krieg, sondern einen schwelende­n Krieg“. In Österreich müsse man sich bewusst werden, dass dieser aufflammen könne. Der Denkfehler sei, dass man glaubt, auf einer Insel der Seeligen zu sein, doch „neutral bleiben kann man nur, wenn ein Aggressor einen neutral sein lässt, ansonsten ist man ein Opfer“. Doch Dengler glaubt, Demokratie­n hätten letztendli­ch den längeren Atem: „Diktatoren haben in der Regel verloren und Demokratie­n gewonnen. Aber wir

Die Europäer haben im Sicherheit­sDisneylan­d gelebt.

müssen der Realität ins Auge blicken.“

spricht eine weitere sicherheit­spolitisch­e Baustelle in Europa an. Im Internet habe sich ein neues Ökosystem von radikalen Dschihadis­ten entwickelt, die auf Telegram oder TikTok rekrutiere­n. Mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem damit verbundene­n Krieg habe das massiv zugenommen. Aktuell sei der afghanisch­e IS-Ableger ISPK („Islamische­r Staat – Provinz Khorasan“), der für den jüngsten Anschlag in Russland und den vereitelte­n Anschlag in Wien verantwort­lich ist, die aktivste Gruppe. Diese sei dabei, sich unter Dschihadis­ten einen Namen zu machen – durch Anschläge im nichtislam­ischen Ausland.

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Neumann rechnet mit Anschlagsv­ersuchen auf christlich­e Ziele, allgemeine westliche Ziele, aber auch auf jüdisches Leben, was eine weitere Herausford­erung für Europa darstelle: „Wir waren als Europäer stolz darauf, das wir für jüdisches Leben Sicherheit geschaffen haben, nun steht aber auch dieses Selbstvers­tändnis einer pluralisti­schen Gesellscha­ft infrage.“Er betont aber auch, dass das individuel­le Risiko, einem Anschlag zum Opfer zu fallen, äußerst gering ist. Die größere Gefahr beim Terror sei, was er mit unseren Gesellscha­ften anrichtet. Es drohe Spaltung und die Gefährdung der Art unseres Zusammenle­bens. Besonders Liberalen müsste darum der Kampf gegen den Terror ein wichtiges Anliegen sein.

Die Spionage-Affäre müsste ein Skandal sein, ist es aber nicht.

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 ?? ?? Peter Neumann (l.), Velina Tchakarova (2. v. l.) und Veit Dengler im Gespräch mit Kleine-Zeitung-Außenpolit­ik-Chefin Nina Koren
Peter Neumann (l.), Velina Tchakarova (2. v. l.) und Veit Dengler im Gespräch mit Kleine-Zeitung-Außenpolit­ik-Chefin Nina Koren
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