„Russland führt Krieg gegen den Westen“
Russische Spionage, Terrorismus, Erstarken der politischen Ränder: Terrorforscher Peter Neumann, Geopolitik-Expertin Velina Tchakarova und Publizist Veit Dengler über die großen sicherheitspolitischen Baustellen. Worauf sich Europa sicherheitspolitisch ei
ie Schlagzeilen der letzten Wochen könnten aus einem mittelmäßigen Thriller stammen. Da ging es um Geheimdienste, falsche Identitäten, Spionage, Desinformation. Welch ernste Konsequenzen die jüngsten Ereignisse fernab von Hollywood hierzulande haben, führte der Terrorforscher Peter Neumann in der Diskussionsrunde der Kleinen Zeitung aus. Zur Frage, inwiefern Nachrichten wie jene über den Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott, der mutmaßlich für Russland spioniert hat, Österreich schaden, betont Neumann den Vertrauensverlust von Verbündeten. Besonders kleine Geheimdienste seien auf Informationen von Partnern angewiesen, um Gefahren abzuwehren. Doch „wenn man das Gefühl hat, gewisse Informationen sind bei einem Dienst nicht sicher, dann werden
Ddiese nicht mehr weitergegeben.“Dass russische Spionage und offensichtliche Beeinflussung der Öffentlichkeit nicht für einen viel größeren Aufschrei sorgt, wundert Neumann: „Das müsste ein Skandal sein, vor allem für Parteien, die für Souveränität des Landes stehen – ist es aber nicht.“Er führt auch das Dilemma der Demokratie ins Treffen: „Wir haben das Wertegerüst erschaffen, das dies überhaupt möglich macht. Unsere größte Stärke macht uns also auch angreifbar“.
Für die Geopolitik-Expertin Velina Tchakarova sind die Desinformationskampagnen nur eines von vielen Instrumenten der hybriden Kriegsführung Moskaus, sie spricht Rohstoffabhängigkeiten, Cyberangriffe, das Schaffen von Migrationsdruck zusammen mit Weißrussland, das Verbreiten von Propaganda und die Einflussnahme
Zu den Personen
ist Terrorismusforscher, Politologe und Autor. 2008 gründete Neumann das „International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR)“am King’s College in London.
auf politische Akteure (im rechten wie im linken Spektrum) an. Und: Moskau habe den Präzedenzfall der nuklearen Erpressung geschaffen, will als erstes Land überhaupt mit Drohungen territoriale Gewinne legitimieren. Sind wir also im Krieg mit Russland? Nicht im kinetischen Sinn – dieser beschränke sich auf die Ukraine –, doch wenn es um nichtkonventionelle Methoden geht, sagt Tchakarova, „ja, da führt Russland einen Krieg gegen uns“.
und NeosPolitiker Veit Dengler habe man diese Bedrohung viel zu lange unterschätzt: „Die Europäer haben
im Sicherheits-Disneyland gelebt, man dachte, alle wollen Frieden.“Er nennt den Konflikt zwischen China, Russland und dem Westen „keinen neuen Kalten Krieg, sondern einen schwelenden Krieg“. In Österreich müsse man sich bewusst werden, dass dieser aufflammen könne. Der Denkfehler sei, dass man glaubt, auf einer Insel der Seeligen zu sein, doch „neutral bleiben kann man nur, wenn ein Aggressor einen neutral sein lässt, ansonsten ist man ein Opfer“. Doch Dengler glaubt, Demokratien hätten letztendlich den längeren Atem: „Diktatoren haben in der Regel verloren und Demokratien gewonnen. Aber wir
Die Europäer haben im SicherheitsDisneyland gelebt.
müssen der Realität ins Auge blicken.“
spricht eine weitere sicherheitspolitische Baustelle in Europa an. Im Internet habe sich ein neues Ökosystem von radikalen Dschihadisten entwickelt, die auf Telegram oder TikTok rekrutieren. Mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem damit verbundenen Krieg habe das massiv zugenommen. Aktuell sei der afghanische IS-Ableger ISPK („Islamischer Staat – Provinz Khorasan“), der für den jüngsten Anschlag in Russland und den vereitelten Anschlag in Wien verantwortlich ist, die aktivste Gruppe. Diese sei dabei, sich unter Dschihadisten einen Namen zu machen – durch Anschläge im nichtislamischen Ausland.
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Neumann rechnet mit Anschlagsversuchen auf christliche Ziele, allgemeine westliche Ziele, aber auch auf jüdisches Leben, was eine weitere Herausforderung für Europa darstelle: „Wir waren als Europäer stolz darauf, das wir für jüdisches Leben Sicherheit geschaffen haben, nun steht aber auch dieses Selbstverständnis einer pluralistischen Gesellschaft infrage.“Er betont aber auch, dass das individuelle Risiko, einem Anschlag zum Opfer zu fallen, äußerst gering ist. Die größere Gefahr beim Terror sei, was er mit unseren Gesellschaften anrichtet. Es drohe Spaltung und die Gefährdung der Art unseres Zusammenlebens. Besonders Liberalen müsste darum der Kampf gegen den Terror ein wichtiges Anliegen sein.
Die Spionage-Affäre müsste ein Skandal sein, ist es aber nicht.