„Ein verlorenes halbes Jahrzehnt“
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer über Österreichs Wettbewerbsprobleme und Europa am Scheideweg.
oder europäischen Sandkastenstreitereien, dass die globalen Mitbewerber die Benchmarks setzen. In den USA werden unterstützende Anreizpakete wie der Inflation Reduction Act einfach auf den Boden gebracht.
Ich wünsche mir, dass die neue EU-Kommission im Spätherbst auch so einen Big Push auf die Beine kriegt.
FELBERMAYR:
Wie müsste der aussehen?
Viel weniger Bürokratie, mehr Tempo, Planungssicherheit, leistbare Energie.
Das Thema Bürokratie muss aus der Sonntagsrede verschwinden und in die Umsetzung gelangen. Wenn ich nur an das Monster Lieferkettengesetz denke, das ist genau das, was wir nicht brauchen. Jedes Gesetz müsste auf seine Wirkung überprüft werden, mit harten Fakten. Solche Daten haben wir im Moment sehr oft nicht, es gibt keine Basis, auf der wir objektive Vergleiche machen könnten.
MAHRER: FELBERMAYR:
werden. Die zugrundeliegende Geisteshaltung grenzt an Wegelagerei, gegen die wir uns viel stärker aufstellen müssen. Dem Geist nach ist das eine klare EU-Vertragsverletzung. Wenn wir den Wohlstand in den nächsten zehn bis 15 Jahren bewahren wollen – ich spreche nicht von einem Wachstumswunder –, dürfen wir nationale Egoismen nicht mehr tolerieren.
Wir müssen stärker gegenüber China und den USA auftreten, innerhalb Europas sollte der Binnenmarkt weniger fragmentiert sein, Spezialregeln für Trittbrettfahrer sollten ein Ende haben.
MAHRER:
sich viel verändern.
Für das Ertüchtigen der Stromnetz-Infrastruktur müssten alle Länder zu haben sein, weil überall die Versorgungssicherheit steigt und die Preise sinken. Es gibt Schätzungen, die davon ausgehen, dass durch gute Netzinfrastruktur jedes Jahr 30 bis 40 Milliarden Euro gespart werden können. In zehn Jahren können wir 400 Milliarden Euro sparen, das ist fast so viel wie das ganze österreichische BIP. Eine Kapitalmarktunion wäre auch extrem wichtig, ich halte sie auch für realistisch.
FELBERMAYR:
Felbermayr dass die Firmen nicht in Österreich oder Deutschland investieren, und sie investieren auch nicht nur in Deutschland nicht. Sie schauen sich längst sehr genau an, ob sie in Rumänien und Bulgarien noch langfristig etwas machen wollen.
perspektivisch auf null setzen und Gegenfinanzierungen finden. Wenn wir bei den Lohnstückkosten seit 2019 sechs Prozent Wettbewerbsfähigkeit gegenüber wichtigen Handelspartnern verloren haben, müssen wir die Lohnnebenkosten um mehrere Prozent senken. Die ganzen sechs Prozent kriegt man ohnedies nicht gestemmt.
Es braucht einen radikalen Umbau in der Zuordnung im Steuersystem ohne Leistungskürzungen bei Pflege und Gesundheit, aber man könnte auch darüber nachdenken, Geld nicht auszugeben. Wobei mir jeder Kindergarten lieber ist als ein neuer Kreisverkehr.
MAHRER:
uf fast 70 Prozent schnalzte die Inflation in der Türkei im März in die Höhe. Und die Stimmung in der Bevölkerung rumort. Das kräftige Lebenszeichen der Opposition bei den Kommunalwahlen letzten Sonntag werte er als Zeichen dafür, dass „die Wirtschaftspolitik der Regierung in Zweifel gezogen wird“, sagt Gerhard Lackner, der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Istanbul. Er ist aber zuversichtlich: „Der Schalter ist umgelegt, langsam lassen sie
Adie Luft aus dem Ballon.“Doch noch explodieren die Preise.
Die Inflation sei „der größte Feind der Wirtschaft“, sagt Sekib Avdagic, der Präsident der Wirtschaftskammer von Istanbul. „Wir leiden sehr darunter.“Der Leitzins liegt aktuell bei 50 Prozent, die Zinsen für Kredite bei 60 oder 70 Prozent. „Wir bemühen uns daher, ohne Kredite auszukommen“, sagt Avdagic. „Nächstes Jahr hoffen wir auf eine Inflation von 25 Prozent, in drei Jahren soll sie auf 15 Pro