Kein Sommer wie damals
eute, die in die Karibik oder sonst eine wärmere Weltgegend gezogen sind, erzählen gelegentlich davon, was ihnen am meisten an der Heimat abgeht. Eigentümlicherweise sind es nicht unbedingt Schwarzbrot und Kalbsschnitzel, sondern die Jahreszeiten. Der Ablauf aus Frühling, Sommer, Herbst und Winter hat sich so eingeprägt, dass man das ewige Schönwetter als Mangel empfindet. Ein Jahreslauf, dem die Würze fehlt, ja, der eigentlich überhaupt keiner ist.
Gestern war Sommer in Österreich und die Menschen genossen ihn sichtlich, wie etwa die Tanztruppe aus München, die in der Ostbucht des Wörthersees spontan und fotowürdig herumturnte. Nun ist das mit dem Sommer Anfang April halt so eine Sache. Er scheint nicht ganz natürlich. Und schon regt sich das Gefühl, dass die Freude an 29 Grad gleichsam einen Trauerrand hat. Soll man sich überhaupt darüber freuen, dass die Natur, wie mittlerweile so oft, wieder einmal ein bisschen verrückt spielt? Dann würde dieses Foto nicht Lebensfreude, sondern Überheblichkeit symbolisieren.
Genauer betrachtet ist das natürlich eine ungut moralisierende Milchmädchenrechnung, die davon ausgeht, dass der Mensch dermaßen beschränkt ist, dass er nicht außerhalb eines Entweder-oder zu denken vermag. Wer sich am Hier und Jetzt freut, an einem schönen Tag, an Sonne, Licht und Luft, vergisst dabei ja nicht automatisch die Gefahren des Klimawandels. Man kann das Geschenk eines verfrühten Sommertags dankbar annehmen, ohne sich zu wünschen, dass Sommertage Anfang April zur Gewohnheit werden. Wer sich an 29 Grad freut, rennt ja auch nicht in die Garage, um den Motor anzuwerfen und sein Scherflein zur Erderwärmung beizutragen.
Schwarz und Weiß, Gut und Böse hängen etwas komplizierter zusammen, als Moralapostel gerne hätten. Die Philosophie nennt dieses verknüpfte Denken Dialektik. Vielleicht spendet ja gerade dieser Tag so viel Freude sowie die Erkenntnis, dass die Schönheit der Welt dringend einer Rettung bedarf. Das geht sich alles aus, so intelligent ist der Mensch schon noch.
L
Das kommt darauf an, wen man fragt und wohin man blickt. Viele Menschen nehmen nicht den geringsten Anteil an dem, was die Politik bereithält und von ihr ausgeht. Viele andere sind politisch interessiert oder sogar engagiert. Und dann ist da noch jener Teil, der sich beruflich mit Politik beschäftigt. Wir müssen also unterscheiden. Aber dass wir in aufgeregten Zeiten leben, steht außer Zweifel. Das erklärt, warum in so vielen Debatten so viel Unbehagen, auch Unduldsamkeit sichtbar und erlebbar wird. Verwunderlich ist das jedoch nicht, denn es geht um große Fragen wie Krieg und Frieden und Unsicherheit.
MARIE-LUISA FRICK:
Ja, und diese Dynamik ist der eskalierenden Rhetorik der konkurrierenden Parteien geschuldet, die alles auf die jeweils bevorstehende Wahl ausrichten. Das Gute an einer funktionierenden Demokratie ist, dass sich die Entscheidungen dennoch wiederholen, was uns die Gelegenheit gibt, einen eingeschlagenen Kurs oder Fehler zu korrigieren. Nichts ist in der Demokratie unumkehrbar. Diese Gewissheit sollte uns eigentlich ein bisschen mehr Gelassenheit vermitteln.