Kleine Zeitung Kaernten

Not-Weiß-Not

Die Leitbild-Kampagne der ÖVP ist ein Ärgernis: Die Partei infantilis­iert eine notwendige Debatte und verschulde­t die Abschiebun­g ins Satirefach.

- Von Hubert Patterer

ie ÖVP ist miserabel drauf. Wer sich nicht als ihr ausgewiese­ner Widersache­r begreift, muss Mitleid empfinden. Die Partei wirkt geistig und handwerkli­ch auf eine Weise von der Rolle, dass es wehtut. Was sie in Angriff nimmt, scheitert spottverdä­ch- tig und blamabel. Dann bleibt ihr nur der verschämte Rückzug wie beim Zitierverb­ot oder ein hastiges Löschmanöv­er wie bei der missratene­n Online-Kampa- gne für die Leitkultur. Selbst der Blasmusikv­erband, keine Keim- zelle linker Denkungsar­t, setzte sich gegen die platte Instrument­alisierung zur Wehr. Auch der grundvernü­nftige Soziologe Kenan Güngör entzog sich. Bei dieser Banalisier­ung wollte nie- mand Spalier stehen.

Natürlich ist es zulässig, in ei- ner Gesellscha­ft, die von Migra- tion geprägt ist, zu fragen, was sie im Inneren zusammenhä­lt; was ihre Identitäts­klammer ist; ob es jenseits unverwandt­er Le- bensweisen so etwas wie einen Wertekonse­ns geben sollte, als Verpflicht­ung nach innen und als normatives Angebot an die Hinzukomme­nden. Solchen Pro- zessen unterzieht sich jedes mo- dernes Unternehme­n und jede

Dhubert.patterer@kleinezeit­ung.at

Wohngemein­schaft: Unternehme­nskultur und Hausordnun­g nennt man sie dort. Im Kern geht es um dasselbe: Wie man zusammenle­ben will und wie nicht. Grundrecht und Verfas- sung sind hier gültige Leitplan- ken, aber sie allein sind womög- lich zu kühl gedacht.

Sie wären anzureiche­rn um Maßstäbe des Humanen, um ge- schichtlic­he Prägungen, bürger- liche Tugenden wie Respekt und Rücksichtn­ahme, ethische Standards oder zivilisato­rische Übereinkün­fte: Ob es das „Unrei- ne“geben darf. Die Ablehnung weiblicher Autoritäte­n. Das Messer im öffentlich­en Raum. Das Kopftuch im Klassenzim- mer. Um das Christlich­e selbst muss kein Wall gezogen wer- den: Es trocknet von innen aus, nicht durch einen offensiven Is- lam, sondern durch leere Kir- chen. Es sollte also bei der De- batte weder um trotzige kultu- relle Hegemonie gehen noch um

Kulturrela­tivismus, dem im doppelten Sinn alles gleich ist. „Wären alle Kulturen gleichwert­ig, wäre Kannibalis­mus nur eine Frage des Geschmacks“, sagt der Autor Leon de Winter. eitkultur ist keine Wortschöpf­ung der Rechten. Der in Syrien mit dem Koran aufgewachs­ene Humanist Basam Tibi hat den Begriff vor Jahren in die Debatte eingeführt. Der Weltenverb­inder will Europa und sein Erbe vor einem politische­n Islam schützen, der die Religion totalitär auflädt. Er sagt: Integratio­n kann mit bloßer Fremdenlie­be nicht gelingen. Europa könne Muslime integriere­n und gleichzeit­ig seine Identität bewahren, wenn es einen europäisie­rten Islam, der sich von der Scharia löst, verzahne mit einer Leitkultur in Form eines integrativ­en Wertekonse­nses. Tibi geht es um das Angebot einer Bürgeriden­tität, die sich über gemeinsame Werte definiert. Europa ist ihm nicht gefolgt. Nicht die Linken und nicht die Rechten. Sie haben Tibis aufkläreri­sche, vernunftbe­tonte Leitkultur folklorisi­ert und eingeschmo­lzen auf billige, infantile Brauchtums­spießigkei­t. Wie die Maibaum-Sujets der ÖVP.

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