Kleine Zeitung Kaernten

Der geächtete Genosse

Hartz-IV, Gaslobbyis­t, PutinVerst­eher: Gerhard Schröder zeigt sich von Kritik weiter ungerührt. Am Sonntag wird der deutsche Altkanzler 80 Jahre alt.

- Von unserem Korrespond­enten

ordisch knapp. Auf seine Art. So wie stets bei Gerhard Schröder. „Moin“, sagt der Altkanzler lediglich zur Begrüßung in die Filmkamera. Schröder, volles Haar, blaues Polo-Hemd, stapft an den Laderaum eines VW-Busses, greift zum Golf-Bag, dem Sport für virile Senioren, marschiert mit seiner fünften Frau So-yeon Schröder-Kim weiter aufs Grün, packt den Driver aus und macht den Abschlag. „Ja, der könnte sogar hinhauen“, sagt Schröder und blickt dem Ball hinterher. Selbstzwei­fel? Nicht bei ihm.

Am Sonntag feiert Schröder seinen 80. Geburtstag. Der Filmemache­r Lucas Stratmann hat ihn für seine ARD-Dokumentat­ion „Außer Dienst?“ein halbes Jahr begleitet. Um es vorwegzune­hmen: Schröder ist weiter im Dienst. Vor allem in eigener Sache. Und so gibt er sich nicht nur beim Golfen unbeirrt. „Mir hat keiner geholfen. Mir hat niemand was geschenkt. Insofern hatte ich immer kämpfen müssen.“Das Leben als Maloche. Kritik prallt da leicht ab als Neid am hart erkämpften Platz. Materielle­s aber bleibt entscheide­nd wichtig für den Aufsteiger.

Nir waren die Asozialen“, erinnert sich Schröder an seine schwierige Kindheit als Halbwaise. Seine Mutter Erika wird er bis zu ihrem Tod im Jahr 2012 verehren. Beim Fußball für TuS Talle wird Schröder nur Acker gerufen. Kein Mann fürs Filigrane also. Ausbildung zum Einzelhand­elskaufman­n,

WMatura auf dem zweiten Bildungswe­g, Jus-Studium. Eine sozialdemo­kratische Traumkarri­ere.

Die strebt der linke Juso-Chef auch in der Politik an. Nach einer langen Partynacht in der westdeutsc­hen Hauptstadt Bonn rüttelt Schröder am Zaun des Kanzleramt­s und ruft: „Ich will da rein!“Die Geschichte wird oft erzählt. Machtinsti­nkt wird nicht geschätzt. Nicht nur in Deutschlan­d. Schröders politische­r Aufstieg beginnt links.

Und in Niedersach­sen. 1990 löst er mit einer rot-grünen Mehrheit Ernst Albrecht als Ministerpr­äsident ab, den Vater von EUKommissi­onschefin Ursula von der Leyen. VW, mit dem Stammwerk Wolfsburg, ist der wichtigste Arbeitgebe­r im Land. Industrieu­nd Modernisie­rungspolit­ik

werden bald zu Schröders Kennzeiche­n. er aufstreben­de Politiker setzt auf markige Worte. Zum Regieren brauche er nur „Bild, BamS (Bild am Sonntag) und Glotze“, lässt er verlauten. So war das in analogen Zeiten vor TikTok. 1998 verdrängt der Sozialdemo­krat Schröder den CDU-Mann Helmut Kohl aus dem Kanzleramt. Die Regierung zieht bald von Bonn nach Berlin. Die Feuilleton­s rufen die „Berliner Republik“aus. Gerhard Schröder sollte sie nachhaltig prägen.

Aber wirtschaft­lich läuft’s zunächst nicht. Deutschlan­d steckt nach den Boom-Jahren der Einheit in einer Modernisie­rungsfalle. Der „Economist“kürt das Land zum „kranken Mann Europas“. Schröder setzt auf den VW-Manager Peter Hartz und Arbeitsmar­ktreformen, er kappt Sozialleis­tungen und schafft mit Niedriglöh­nen die Basis für zwei Jahrzehnte Prosperitä­t. Billige Arbeit, mittelstän­dische Innovation­en und russisches Günstig-Gas lassen Export und Steuern sprudeln. Erst mit Russ

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lands Krieg in der Ukraine endet das deutsche Erfolgsmod­ell.

Politisch kann Schröder davon ohnehin nicht mehr profitiere­n. Die Hartz-Reformen zerreiben die SPD. 2005 löst ihn die CDU-Politikeri­n Angela Merkel im Kanzleramt ab. Zurück blieb eine tief verunsiche­rte SPD, die an Glaubwürdi­gkeit auf sozialem Feld eingebüßt hat und die Industriea­rbeitersch­aft verliert. er Polit-Pensionist selbst heuert noch 2005 bei Russlands Energiewir­tschaft an. Die Ostsee-Pipeline Nord Stream ist nicht allein sein Verschulde­n. Aber Schröder ist der Einzige, der das Projekt bis heute verteidigt. Kritik, auch von einstigen Getreuen wie Frank-Walter Steinmeier? „Das ficht mich nicht an“, sagt der Altkanzler. „Ich habe mein Leben lang in der Politik mit Kritik gelebt und werde das auch weiter so tun.“Schröder bleibt Schröder. Und das heißt stur.

Und seine andauernde Freundscha­ft zum russischen Präsidente­n Putin? „Wir haben über lange Jahre vernünftig zusammenge­arbeitet. Vielleicht

Dkann das immer noch helfen, eine Verhandlun­gslösung zu finden, eine andere sehe ich nicht“, sagt Schröder. Er sieht sich weiter als Mittler. Auch, wenn ein erster Vermittlun­gsversuch kurz nach Putins Überfall auf die Ukraine 2022 scheitert. ür Schröder besteht Politik weiter aus Haupt- und Staatsakti­onen. Sie wird weiter von Männern gemacht. Nicht nur in Startup-Zeiten mit flachen Hierarchie­n und Befindlich­keitsrunde­n ein echtes Fossil. Nicht nur energiepol­itisch. „Man soll sich nicht überschätz­en“, sagt Schröder in die ARDKamera. Ein Hauch von Selbstkrit­ik.

Das war’s. Mehr kommt nicht. Auch auf dem Golfplatz. Beim Putten rollt der Ball gleich dreimal am Loch vorbei. „Weil du von Schenken geredet hast“, sagt er spitz zu seiner Frau auf ein Golfer-Agreement anspielend, das leicht vergebene Schläge gutschreib­t. Kein Zweifel: Gerhard Schröder ist mit sich im Reinen. In seiner Welt ist er ohne Fehl. Aus der Sicht anderer mit sehr viel Tadel.

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PD Trotz(t) allem: SPD-Altkanzler Schröder macht weiter wie bisher
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APA Schröder und Putin verbindet eine lange Freundscha­ft
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