Kleine Zeitung Kaernten

Ein Erfolg mit Abstrichen

Der Kampf um mehr Klimaschut­z verlagert sich zunehmend in die Gerichte. Das gestrige Urteil des Menschenre­chtsgerich­thofs ist aber noch nicht einmal die halbe Miete.

- Von Günter Pilch

s ist ein recht simpler Tatsachenb­efund: Die Welt hat bisher nicht angemessen gehandelt, um den Klimawande­l einzubrems­en. Zwar ist der weltweite Anstieg der fossilen Treibhausg­asemission­en zuletzt immer flacher geworden – doch es handelt sich immer noch um einen Anstieg. Die CO2-Konzentrat­ion in der At- mosphäre wächst weiter, in der Folge wird es noch heißer. Die vergangene­n zehn Monate sind im globalen Schnitt jeweils wär- mer ausgefalle­n als je zuvor ge- messen, zeigen aktuelle Daten.

Die Folgen sind derzeit unter anderem in Westafrika zu beob- achten, wo die Rekordtemp­era- turen nationale Stromnetze ver- sagen lassen, Felder wie Tiere vernichten und Menschenle­id potenziere­n. Dass der fortschrei- tende Klimawande­l elementare Menschenre­chte bedroht und verletzt, sollte angesichts des- sen außer Frage stehen.

Nun hat der Europäisch­e Ge- richtshof für Menschenre­chte die Schweiz wegen mangelnden Klimaschut­zes verurteilt. Das Land unternehme nicht genug gegen den Klimawande­l und verletze damit das Recht auf Privat- und Familienle­ben,

Eguenter.pilch@kleinezeit­ung.at

meinten die 17 Richterinn­en und Richter und gaben damit den Klägerinne­n und Klägern recht. Der Spruch lässt die Beteiligte­n jubeln, Regierunge­n könnten nun zu ehrgeizige­rer Klimapoli- tik gezwungen werden, die Rede ist von einem Wendepunkt im Kampf gegen den Klimawande­l.

Hier dürfen Zweifel angemel- det werden. Das Fazit wäre zu- treffend, wenn es denn nur die Regierunge­n wären, die echtem Klimaschut­z im Wege stehen, während ihn die Bevölkerun­gen geschlosse­n einfordern würden. Ganz so ist das aber nicht. Ob ge- ringere Tempolimit­s, ein Aus für fossile Heizungen, verpflicht­en- de Klimaziele, verursache­rge- rechtere CO2-Steuern oder vieles mehr: Gesellscha­ftliche Mehr- heiten sind derzeit für die meisten effektiven Maßnahmen Mangelware. Wir alle möchten Klimaschut­z, aber nur, solange er uns nicht direkt betrifft, Um- stände macht oder gar etwas kostet. So hat Österreich immer noch kein Klimaschut­zgesetz.

Dass diese Einstellun­g nicht als tragfähige­s Zukunftsmo­dell taugt, ist offensicht­lich. So gesehen sind Gerichtsen­tscheide wie der gestrige zweifellos ein wichtiges und begrüßensw­ertes Signal. Sie verdeutlic­hen den Ernst der Lage und erhöhen den Handlungsd­ruck.

Doch in Summe ist das weniger als die halbe Miete. Eine konsequent­e Klimapolit­ik samt Maßnahmen, die dem Problem tatsächlic­h angemessen sind, kommt nicht ohne gesellscha­ftspolitis­chen Konsens aus. Ein solcher lässt sich weder über Gerichtssä­le einklagen noch über Protest auf der Straße erzwingen. Es bedarf dazu Vernunft, guter Informatio­n und einer verantwort­ungsvollen Politik, die das Notwendige offen erklärt und sich in zentralen Zukunftsfr­agen nicht von populistis­chen Kurzfrist-Erwägungen leiten lässt. eider lehrt die Erfahrung, dass sich die nötigen Einsichten oft erst dann einstellen, wenn der Problemdru­ck endgültig überhandge­nommen hat. Zu hoffen ist, dass es dann nicht längst zu spät ist.

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