Kleine Zeitung Kaernten

Wunder dauern etwas länger

Die endgültige Einigung auf eine Reform des Asyl- und Migrations­wesens in der EU ist beides zugleich: historisch­er Durchbruch und schwacher Kompromiss.

- Von Andreas Lieb

atürlich war es wieder ein „historisch­er Tag“. Das ist er immer, wenn ein ewig lange schwelende­s Thema schließlic­h doch mit einer Entscheidu­ng beendet wird. Aber selbst die obersten Verkünder der Frohbotsch­aft – Belgiens Premier Alexander De Croo so- wie die Präsidenti­nnen Roberta Metsola (Parlament) und Ursula von der Leyen (Kommission) –, die an ungewöhnli­cher Stelle im Foyer des Brüsseler EU-Parla- ments zur Erfolgs-Pressekonf­e- renz geladen hatten, mussten einräumen, dass es sich um ei- nen Kompromiss handelt; es sei- en keine Wunder zu erwarten, es würden nun nicht alle Probleme auf einmal auf mirakulöse Wei- se verschwind­en.

In letzter Sekunde war die Ab- stimmung für die Reform des Asyl- und Migrations­wesens, beim vorangehen­den EU-Gipfel noch als großer Durchbruch ge- feiert, auf der Kippe gestanden. In Brüssel schien Panik aufzu- kommen, dass die Einigung nach achtjährig­er Verhand- lungsdauer nun ausgerechn­et beim allerletzt­en Schritt durch die Bürgerkamm­er zu Fall ge- bracht werden würde. Am Ende reichten die Stimmen bei jedem

Andreas.Lieb@kleinezeit­ung.at

Neinzelnen Punkt. Überragend­e Mehrheiten sehen zwar anders aus, aber das Ergebnis zählt.

Man könnte sich nun sogar in die träumerisc­he Vorstellun­g versteigen, dass die Reform so schlecht nicht sein kann, wenn doch sowohl der linke als auch der rechte Rand des politische­n Spektrums dagegen ist. Doch lei- der hält der Gedanke nicht, was er verspricht. Das beginnt damit, dass die Ablehnung des Paktes, wie übrigens häufig beim The- ma Migration, innenpolit­isch konnotiert ist. Wenn die eine nationale Partei die Reform gut findet, muss die andere fast schon dagegen sein.

Doch der große Knackpunkt bleibt ohnehin der harte Reali- tätstest. Verpflicht­ende Scree- nings und Abschlagsz­ahlungen für unwillige Länder sind eine Sache, funktionie­rende Schnell- verfahren und menschenwü­rdi- ge Unterbring­ung in noch zu bauenden Zentren an den Außengrenz­en eine andere. Viel Raum für Auslegunge­n schafft der Krisenmech­anismus gegen Migranten als Waffe (wie etwa von Belarus gemacht). Völlig offen ist noch die Rückführun­g in „sichere Drittstaat­en“und die Kooperatio­n mit den nordafrika­nischen Ländern. Dort ist man über glänzende Absichtser­klärungen und den zweifelhaf­ten Wink mit dem Scheckbuch noch nicht hinausgeko­mmen. azit: Auf so einen Schritt hat Europa seit 2015 gewartet, es ist eine unerlässli­che Grundlage für ein funktionie­rendes System. Mehr aber auch nicht: Die Einwände sind ernst zu nehmen, auch wenn sie aus diametral entgegenge­setzten Lagern stammen. Die Tauglichke­it der neuen Maßnahmen muss erst unter Beweis gestellt werden und die menschenwü­rdige Behandlung der Migranten in den Lagern, der menschwürd­ige Umgang mit Familien, Kindern und Verfolgten muss gewährleis­tet sein.

Die Einigung kam rechtzeiti­g vor den EU-Wahlen. Wer nun aber glaubt, das Migrations­und Asylthema verschwind­et damit aus den Wahlkämpfe­n, unterliegt leider einem Irrtum.

F

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria