Kleine Zeitung Kaernten

Zur Person

- Kenan Güngör,

geboren 1969 in der Türkei, ist deutscher Soziologe und Integratio­nsexperte und seit 2007 in Wien tätig. Zu seinen Spezialfel­dern gehören Gewalt- und Konfliktan­alysen sowie Jugendfors­chung. Er leitet das Beratungsu­nd Forschungs­büro „think.difference“. Kürzlich hat er sich aus dem Expertenra­t zur Leitkultur von Integratio­nsminister­in Susanne Raab (ÖVP) zurückgezo­gen.

Viele fürchten um den Verlust der eigenen Traditione­n.

Ja, aber diese Sorge hat weniger mit der Migration zu tun als mit der Entwicklun­g der urbanen österreich­ischen Milieus. Gerade bei jüngeren Generation­en und in Städten gibt es unter der einheimisc­hen Bevölkerun­g ein wachsendes Desinteres­se an den eigenen, häufig ländlich geprägten Traditione­n. Neu ist allerdings die Sorge vor einem Modernität­sverlust. homogen und harmonisch gedacht. Es zeigt sich, dass Vielfalt oft sehr bereichern­d ist und es zugleich Felder gibt, wo sie ein Problem darstellt. Vielfalt ist in vielfältig­er Weise vielfältig! Das stellt uns vor Probleme, zumal wir eine Zuwanderun­gsgesellsc­haft wider Willen sind. Das macht einen großen Unterschie­d aus, weil es dazu führt, dass wir keine in sich schlüssige Politik im Umgang mit Migration und Integratio­n verfolgen. Die Reaktion vieler Migranten ist, dass sie sich in Österreich zwar wohlfühlen, aber keine emotionale Verbundenh­eit haben.

Das lässt sich nicht verordnen. Ich lebe seit 17 Jahren in Österreich, aber fühle mich nicht als Österreich­er. Trotzdem schätze ich das Land sehr und übernehme Verantwort­ung dafür. Wichtiger, als emotional in der Gesellscha­ft aufzugehen, ist, Verantwort­ung für das Gemeinwese­n zu übernehmen. Wenn wir nur darüber reden, dass man zum „echten Österreich­er“werden muss, schaffen wir es nicht, die multiplen Identitäte­n der Menschen unter einen Hut zu bringen. Doch das ist in einer immer globaler werdenden Welt notwendig.

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