Sozialkontrolle erklärt das nicht
24-Stunden-Shops in der Stadt und auf dem Land: beides probiert, kein Vergleich.
aum war man im Ausland, hat man über daheim gleich viel mehr zu sempern. Ich war in Italien in einem Mortadellageschäft. Sonst gab es nichts; nur Mortadella. Vom Wildschwein, Büffel, Esel; mit Trüffeln oder Paprika. Links und rechts: Geschäfte, in den ausschließlich Käse, Fische oder Wein angeboten wurden. Da Schinken, dort Schallplatten. Da Nudeln, dort Briefpapier. Dazwischen Obst, Gemüse, Zuckergebäck. Man beneidet eine Kultur, die derart die Spezialisierung feiert, und wünscht sich mehr davon auch in der eigenen Stadt.
In selbiger wandeln sich neuerdings reihum Kleinstgeschäftsflächen zu Automatenshops. Man ist ja gern enthusiastisch, ich fand das anfangs also ziemlich super: Notwendigstes rund um die Uhr. Es gibt dort aber eigentlich nie Lebensmittel, sondern immer nur Schlingstoff für dann, wenn man beim Streamen oder Gamen vom nachmitternächtlichen Hungerast gestreift wird: Chips, Schokolade, Energydrinks. Dazu CBD-Produkte und Snus. (Letztere bezeichnet das Lexikon übrigens als „Oraltabak“, was, finde ich, ganz schön unanständig klingt. Wahrscheinlich gehören mir die Ohren mit Seife ausgewaschen.)
Im Grunde, vermute ich, sind die Automatenshops die urbane Übersetzung der Selbstbedienungsbauernläden, die es jetzt auf den Dörfern gibt. Nur ist dort nix weggesperrt, sondern liegt offen herum: Erdäpfel, Bio-Eier, Selchwürste, Brot. Marmeladen, Säfte, Joghurt. Alles hyperregional und hausgemacht. Es sind echte Schlaraffenläden, und sie funktionieren nach dem Ehrlichkeitsprinzip: Man zahlt, was man mitnimmt, per Karte oder bar. In einem sah ich unlängst gut 30 Euro offen in der Kleingeldschachtel liegen.
Klaut da nie wer was?, fragte ich bei einer Betreiberin nach. „Nein, eigentlich nie“, sagte sie.
Mit ländlicher Sozialkontrolle ist das nicht erklärbar. Ich vermute: Man zahlt jedenfalls für ein Produkt, wenn man weiß, dafür hat die Nachbarin hart gearbeitet; damit erhält der Nachbar seinen Hof.
Und da ist sie also, fast vor der Haustür: eine Kultur, die die Spezialisierung feiert. Man hat sich auf Vertrauen spezialisiert. Ein besseres Angebot wird einem eh selten gemacht.
K