Der blaue Brief
Die Freiheitliche Partei bereitet sich auf den Tag X vor. Sie kleidet sich als Schutzpatron der freien Presse. Lehrstück aus der Schule der Heuchelei.
Es geschieht nicht alle Tage. Der Parteiobmann der FPÖ hat den Chefredaktionen und Verlegern der hiesigen Zeitungen, eben noch geschmähte „Systemmedien“, einen zugewandten, geradezu mitfühlenden Brief geschrieben. Herbert Kickl macht sich darin Sorgen um den Bestand und die Zukunft der Tageszeitungen. Je tiefer man hineinlas in die Epis- tel, desto mehr überkam einen das Staunen: Die Medienland- schaft stünde vor Herausforde- rungen, schrieb Kickl, und man wisse: Regierungen vergäben Schaltungen nach Gutdünken. Werbegelder flössen über die sozialen Medien zu den amerika- nischen Technologie-Riesen, zu- gleich sinke das Vertrauen, das die Bürger Medien entgegen- bringen. Die Schwierigkeiten seien beträchtlich. Schlimm.
Das Schreiben troff vor Anteil- nahme und schloss mit der kon- zilianten Bitte, man möge als Chefredakteur Vorschläge un- terbreiten, welche Maßnahmen die Politik setzen könne, um „Medienvielfalt und Medienfrei- heit zu gewährleisten“. In Hin- blick auf eine „mögliche Regie- rungsbeteiligung“werde man die Anregungen „maßgeblich
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einfließen“lassen. Auch sei man dankbar für Hinweise, welche Schritte notwendig seien, um die „Arbeitsbedingungen in den Redaktionen zu verbessern“und „politischen Druck abzuhalten“. Schließlich dürfe die Politik nicht über die Medien entschei- den. Die Packung Tempo leerte sich von Zeile zu Zeile.
Es wurde erst besser mit der Rührung, als sie sich mit der Er- innerung kreuzte, daran, wie das war mit dem Gutdünken und den Arbeitsbedingungen zu Zeiten der blauen Hegemonie in Kärnten. Wie kritische Berichterstattung mit einem Inseratenboykott und Aufrufen dazu erwidert wurde, mit dem Zu- rückhalten der Landespresseför- derung und mit Schmähungen gegen die Chefredakteurin, bis hin zu Handgreiflichkeiten an Parteitagen. Wie Reporter des Landesstudios ein zweites Mal für einen Beitrag ausrücken mussten, weil der erste nicht entsprach. Wie die Partei, die in Sorge ist um das Vertrauen der Bürger in die Medien, die Impfgegner gegen ebendiese aufwiegelten, sie vor die Redaktionstore trieben, wie sie „Lügenpresse“riefen und wie Verfassungsschützer uns rieten, den Arbeitsplatz an der Fensterfront zu wechseln und den Newsroom durch den Hinterausgang zu verlassen. Und schließlich: Wie die Partei dem ORF den Garaus verhieß, TV-Runden fernblieb und im Netz ihren eigenen Medienkosmos hochzog, in dem man unter sich bleibt und unbehelligt von Fragestellern, und wo man die Delegitimierung jener Medien auf die Spitze trieb, um deren „Unabhängigkeit und Vielfalt“sich der Vorsitzende so sehr sorgt. s ist erfreulich, wenn alles ein Missverständnis war und nicht so gemeint. Wir werden daher dem Ansinnen Folge leisten und dem FPÖ-Obmann darlegen, was die Politik tun könne, um fairen Wettbewerb zu ermöglichen und journalistische Arbeitsbedingungen „ohne Druck und Einfluss“. Schauen wir, was davon „maßgeblich“einfließt, wenn die Stunde naht.
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