Europas Schwerpunkt verlagert sich nach Süden
Warum Deutschland in der EU an Einfluss verliert.
Mario Draghi hat ein weiteres Mal überrascht. Wiederholt hat der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) in der Euro-Krise zu ungewöhnlichen Mitteln gegriffen. Was immer notwendig sei, werde er tun, hatte Draghi versprochen und hinzugefügt: „Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“Gestern hat Draghi eine kleine Grenze gezogen: Die EZB wird nicht alles mitmachen, um Griechenlands Liquidität kurzfristig zu sichern. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat also der Troika ein Ende bereitet. Aber die EZB hat der unkonventionelle Minister noch nicht geknackt.
Die neue Regierung in Athen ist griechisch-unorthodox gestartet. Premier Alexis Tsipras und sein Team verzichten auf weitere Hilfsprogramme. Sie kappen die Bande zur Troika und wettern kräftig gegen Europa. Das war für die heimische Kulisse. Denn im Ausland haben Tsipras und Varoufakis noch einmal gehörig überrascht. Der Finanzminister ver- sprach, „nie mehr“ein Haushaltsdefizit vorzulegen. Und Tsipras deutete bei seinem lang erwarteten Brüssel-Besuch Kompromissbereitschaft an. Europa und Griechenland bewegen sich aufeinander zu.
Ein Verlierer der neuen Entwicklung steht dennoch schon fest: die deutsche Bundesregierung. Schrittweise wird der Euro-Rettungskurs von Kanzlerin Angela Merkel korrigiert, seit die neue Kommission ihr Amt angetreten hat: Erst lässt der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Milde mit den Defizitsündern Frankreich und Italien walten. Dann kommt ein Investitionspaket light. Schließlich setzt Tsipras der Troika ein Ende. Eine Erfindung Merkels. Der Rettungsfonds ESM könnte mittelfristig als Europäischer Währungsfonds die Kontrollrolle für Programmländer übernehmen.
Aber etwas anderes ist wichtig. Dazu reicht ein Blick auf Landkarte und Reisewege. Früher machten sich die EUStaats- und Regierungschefs vor Gipfeln auf den Weg nach Berlin. Vor dem Treffen nächste Woche sparte nicht nur Tsipras Berlin lange aus. Er reiste zuerst nach Zypern, Italien und Frankreich. Der Schwerpunkt Europas hat sich nach Süden verschoben. ngefährlich ist die Krise nicht. Es ist unklar, wie lange sich Griechenland finanzieren kann. Bis Ende März – schätzen Optimisten. Bis Ende Februar – die weniger Zuversichtlichen. Die Zeit drängt. Die Liquidität der griechischen Banken ist eng. Niemand will den griechischen Abschied vom Euro, aber er kann passieren: eher aus Versehen. Gänzlich griechischunorthodox.
USie erreichen den Autor unter