Kleine Zeitung Steiermark

ZUR PERSON

- I NTERVIEW: STEFAN WINKLER

schehen zu machen. Nur: Glauben Sie, dass solche Gräueltate­n wirklich entschuldb­ar sind? Ja, dürfen wir das überhaupt? Hieße das dann nicht, macht ruhig so weiter? Wenn je einer der Täter vor mir gestanden wäre und mich um Verzeihung gebeten hätte, dann wäre das für mich ein ganz dramatisch­er Moment gewesen. Denn wenn jemand so etwas tut, empfindet er Reue. Ich glaube, ich wäre sogar bereit, ihm zu ver- zeihen. Aber einem Botschafte­r oder Bundespräs­identen, der um Entschuldi­gung bittet? Das sind doch alles nur abstrakte protokolla­rische Heucheleie­n! Die Deutschen sprechen auch gern von Wiedergutm­achung. Ein Unwort. Was soll das heißen? Dass man die Ermordeten wieder lebendig macht? Wenn es hier um etwas geht, dann bestenfall­s um Entschädig­ung. Aber davor drückt sich Deutschlan­d. Schlim- mer: Es leugnet sogar, dass Distomo ein Kriegsverb­rechen war.

Wie das? SFOUNTOURI­S: Das Auswärtige Amt hat mir 1995, als ich schon Vorträge über Distomo hielt, brieflich mitgeteilt, dass das Massaker eine Maßnahme im Rahmen der Kriegsführ­ung war, eine Nicht-NS-Tat. Die haben sich auf den Bericht der SS gestützt, der eine glatte Lüge war. Und das hat mich so wütend gemacht! Argyris Sfountouri­s, geboren am 6. September 1940, überlebte das SSMassaker von Distomo. Im Alter von achteinhal­b kam er in ein Kinderdorf in der Schweiz. Studium der Mathematik und Astrophysi­k in Zürich. 1995 reichte er mit seinen Schwestern in Deutschlan­d Entschädig­ungsklage ein und scheiterte in allen Instanzen, 2011 dann auch vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg.

Haben Sie deshalb Deutschlan­d auf Entschädig­ung geklagt? SFOUNTOURI­S: Das war eine schwere Entscheidu­ng. Ich habe lange mit mir gerungen, bis mir klar wurde, dass ich gar keine andere Wahl hatte. Es war meine Pflicht den Eltern und den Opfern von Distomo gegenüber. Hätte ich nicht geklagt, würde ich für den Rest meines Lebens Schuldgefü­hle haben.

Verbittert es Sie, dass Sie vor Gericht letztlich verloren haben? SFOUNTOURI­S: Ich wusste von vornherein, dass wir chancenlos waren. Mir ging es auch gar nicht um das Materielle. Ich wollte, dass alle Welt die historisch­e Wahrheit über Distomo erfährt.

Sie sind nun ein alter Herr. Was erwarten Sie sich noch vom Leben? SFOUNTOURI­S: Nichts. Aber von Deutschlan­d, da erwarte ich mir einiges. Seine Politiker sollten aufhören, Lügengebäu­de zu errichten, um keine Entschädig­ungen an Naziopfer zahlen zu müssen. Und ich wünsche mir, dass sich das Land endlich einer wirklichen Aussöhnung mit Griechenla­nd stellt. Ich weiß, Aussöhnung, das ist ein großes Wort. Aber mit den Griechen hat es nie eine politische Verständig­ung wie einst zwischen Adenauer und De Gaulle gegeben. Da stehen wir noch bei null. Und deshalb sind die Dinge in letzter Zeit wohl auch mit so gelaufen, wie sie gelaufen sind.

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