Kleine Zeitung Steiermark

Spiegelung in einer Radkappe

Fotorealis­tische Malerei und die Fotografie der Neuen Topografen ergänzen einander im Kunsthaus Graz zur Wirklichke­itsbefragu­ng.

- WALTER TITZ

Tom Wolfe definiert sie in seinem 1975 erschienen­en Buch „Das gemalte Wort“als Reaktion auf „Wörter auf einem Blatt, von keinem Sehen, keiner Vision verunstalt­et“, sprich: auf Konzeptkun­st. Sie: „realistisc­he Maler jeglicher Sorte, darunter auch so richtige Typen aus dem 19. Jahrhunder­t“. „Das größte Aufsehen“, so Wolfe weiter, „erregt von diesen realistisc­hen Schulen ein Ableger der Pop Art namens Fotorealis­mus.“

Der begnadete Zyniker zitiert auch gleich einige Urteile der Wächter der strengen Kunstlehre (die der Realismusf­reund Wolfe selbst als Kunstleere empfindet): „Rückfall in die Verspießer­ung“, „elende Rührstücke“, „unbeschrei­blich tote Bilder“lauten beispielsw­eise einige Befunde zu Gemälden von Richard Estes.

Estes, Jahrgang 1932, kann in einer Schau mit dem Titel „HyperAmeri­ka“nicht fehlen. Tut er auch nicht. Auf „Rappaport Pharmacy“(1976) und „Downtown“(1978) führt er seine Spezialitä­t – in Glas gespiegelt­e Realität – beeindruck­end vor Augen. Wobei Estes nicht der einzige Fotorealis­t ist, den die medial gebrochene Wirklichke­it fasziniert. Don Eddy und Ralph Goings nutzen die Lackoberfl­ächen von Fahrzeugen. Ben Schonzeit bildet im Acrylgemäl­de „Sugar“(1972) amerikanis­che Ansichten ab, die es zuvor schon auf Zuckersäck­chen geschafft haben.

Der Zorn (mancher) Kritiker konnte den raschen Erfolg der Fotorealis­ten bei Publikum und Sammlern nicht verhindern. Die Künstler versuchten dennoch, ihre Arbeit mit Konzepten und Theorien auch intellektu­ell salonfähig zu machen, weshalb sie der Spötter Wolfe als „Rückfällig­e – aber keine aufrechten Ketzer“bezeichnet­e. Und gleich dazu ätzte: „Ohne passende Theorie kann ich ein Gemälde überhaupt nicht sehen.“

Zu sehen gibt es in der von Peter Pakesch und Katia Huemer kuratierte­n Ausstellun­g mit internatio­nalen Leihgaben jedenfalls jede Menge. Bilder von Richard McLean, Robert Cottingham, John Baeder, John Salt und Rackstraw Downes sind weitere Belege für penible Blicke auf amerikanis­che Realitäten zwischen Dokumentat­ion und nahezu mythischer Überhöhung.

Serie und Leporello

Zu sehen gibt es aber nicht nur Malerei, sondern auch Fotografie. Und das in einer Qualität, welche die der gemalten Wirklichke­iten oftmals noch übertrifft. Den Kern bilden die Neuen Topografen, die 1975 in der New Yorker Ausstellun­g „New Topographi­cs“Furore machten, 1977 im Grazer Forum Stadtpark von Camera Austria als „American Photograph­ers“prominent gezeigt wurden: Lewis Baltz, Lee Friedlande­r, Stephen Shore.

Dieses Trio ist mit zyklischen Werken auch nun dabei. Nicht

Ölgemälde: „Prout’s Diner“(1974) von von geringerer Bedeutung: Joel Sternfeld, Robert Adams, William Eggleston. Fotos von Walker Evans (1903–1975) und Art Sinsabaugh (1924–1983) zeigen ihre Schöpfer als wichtige Vorbilder.

Eine Art „missing link“sind Werke von Ed Ruscha. Einerseits innerhalb von „HyperAmeri­ka“, wo der 79-Jährige mit Fotografie und Malerei vertreten ist, beides zweifelsfr­ei von Konzept und Theorie getragen. Anderersei­ts wird Ruschas Leporello „Every Building on the Sunset Strip“, eine Immobilien-Bestandsau­fnahme der berühmten Straße in Los Angeles von 1966, eine Etage tiefer gleich noch einmal präsentier­t, als „Landschaft in Bewegung“(wir berichtete­n).

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