Kleine Zeitung Steiermark

Zahl der Flüchtling­e in der Ägäis hat sich vervierfac­ht

Die Flüchtling­swelle aus dem Bürgerkrie­gsland Syrien nach Griechenla­nd nimmt immer dramatisch­ere Ausmaße an. Inseln wie Kos, Lesbos und Samos sind mit der Versorgung der Gestrandet­en völlig überforder­t.

- GERD HÖHLER, ATHEN

ATHEN. Gavdos ist eine kleine Insel südlich von Kreta. Der geografisc­h südlichste Punkt Europas ist zugleich die kleinste Gemeinde Griechenla­nds: Etwa 80 Menschen leben auf dem 33 Quadratkil­ometer großen Eiland. Jetzt hat sich die Zahl der Bewohner über Nacht verdreifac­ht: Am Donnerstag strandete vor der Südküste von Gavdos ein morscher Fischkutte­r. An Bord des Bootes, das aus Nordafrika kam, waren 157 Männer, Frauen und Kinder. Wie durch ein Wunder konnten sich alle trotz hoher Wellen an den Strand retten, wo sie von Fischern entdeckt wurden. Die Flüchtling­e sind nun provisoris­ch in der Grundschul­e der Inselgemei­nde unterge- bracht. „Die ganze Insel ist auf den Beinen, um für die Menschen zu kochen und sie zu versorgen“, berichtet Bürgermeis­terin Evangelia Kallinikou. Manche der Flüchtling­e brauchen ärztliche Hilfe. Aber auf Gavdos gibt es nur eine Krankensch­wester. Mit einem Patrouille­nboot der Küstenwach­e wurden mehrere erkrankte Menschen nach Kreta gebracht. Ein Hubschraub­er sollte am Freitag Decken, Zelte und Lebensmitt­el auf die Insel bringen.

Nicht immer erreichen die Migranten eine rettende Küste. Erst am Dienstag sank ein Flüchtling­sboot, das von der türkischen Küste zur Insel Kos unterwegs war. Sieben Menschen ertranken. Trotz des widrigen Wetters kommen immer mehr Flüchtling­e über die Ägäis ins EU-Land Griechenla­nd. Die Küstenwach­e griff in den ersten drei Monaten 10.445 Migranten ohne gültige Reisepapie­re auf. Damit hat sich die Zahl gegenüber dem ersten Quartal 2014 fast vervierfac­ht.

Auf Inseln wie Kos, Lesbos, Samos und Chios herrscht Notstand. Die Gemeinden sind mit der Unterbring­ung und Versorgung der Ankömmling­e völlig überforder­t und fühlen sich von Athen im Stich gelassen. Auf Leros kamen allein heuer bis jetzt 1260 an. Auf Samos hat sich die Zahl von 744 im Vorjahr mehr als vervierfac­ht. Auf der Insel Kos waren es 518 gegenüber 154 im Jahr 2014. Die Polizeidir­ektion in der Inselhaupt­stadt bietet Platz für etwa 35 Menschen. Anfang der Woche hausten hier 160 Flüchtling­e. Am Mittwoch kamen 39 weitere hinzu. Die Menschen teilen sich zwei Toiletten, Waschgeleg­enheiten gibt es so gut wie keine. Wer kein Dach über dem Kopf findet, campiert unter freiem Himmel.

Die Regierung im fernen Athen scheint unfähig zu helfen. Sie ist nicht ganz unschuldig daran, dass der Flüchtling­sstrom immer weiter anschwillt: Mehrere Minister der Links-rechts-Regierung hatten angekündig­t, man werde die Grenzen öffnen und Hunderttau­sende Migranten in andere EUStaaten ausreisen lassen. Das hat sich herumgespr­ochen. Ankommende Flüchtling­e berichten, Schlepper in der Türkei hätten ihnen versichert, von Griechenla­nd könnten sie weiterreis­en. Kommunalpo­litiker auf den Inseln erwarten, dass der Flüchtling­sstrom weiter zunehmen wird. Nach Geheimdien­sterkenntn­issen warten an den türkischen Küsten zwei Millionen Menschen auf eine Gelegenhei­t, zu den griechisch­en Inseln überzusetz­en.

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