Kleine Zeitung Steiermark

Diese alte Dame macht gerne Party

Von der mittelalte­rlichen Fassade der estnischen Hauptstadt soll man sich nicht täuschen lassen. Tallinn ist eine der innovativs­ten Städte Europas. Ein echter Hotspot.

- RAINER BRINSKELLE

Das Durchschre­iten des mittelalte­rlichen Stadttors neben dem berühmten Kanonentur­m „Dicke Margarethe“im Norden von Tallinn ist gleichsam ein Schritt in eine andere Epoche. An den Häusern prangen noch heute kunstvoll gestaltete Laternen aus geschmiede­tem Eisen – etwa in der Form von Schiffen. Nicht ohne Grund hat die Unesco 1997 die estnische Hauptstadt zum Weltkultur­erbe ernannt – als außergewöh­nlich vollständi­ges und gut erhaltenes Beispiel einer mittelalte­rlichen nordeuropä­ischen Handelssta­dt. „Die Altstadt ist einfach nur atemberaub­end“, verschlägt es da sogar einem Hollywoods­tar wie Liz Hurley den Atem.

Über die leicht ansteigend­e „Lange Straße“, die „Pikk tanav“, geht es ins Zentrum. Immer wieder lässt sich zwischen den Häuserfron­ten ein Blick auf die vielen Türme der historisch­en Stadtmauer erhaschen. Vorbei am imposanten Turm der Olaikirche gelangt man nach wenigen Minuten auf den Rathauspla­tz mit der mittelalte­rlichen Residenz des Bürgermeis­ters. Das Rathaus mit den beiden berühmten Wasserspei­ern in Drachenkop­fform der 430.000-Einwohner-Stadt wurde zwischen 1402 und 1404 erbaut.

Die Tallinner sind sich nicht nur des historisch­en Charmes ihrer Heimatstad­t bewusst, sondern wissen auch, wie sich der mittelalte­rliche Zeitgeist gut vermarkten lässt. So gibt es gleich mehrere Mittelalte­rrestauran­ts, aus denen das „Olde Hansa“hervorstic­ht. „Tervitades!“, rufen sich die Gäste auf der Sommerterr­asse zu – „Zum Wohl!“Das Bier schmeckt aus dem tönernen Humpen gleich noch einmal so gut. Derweil serviert das in historisch­e Gewänder gehüllte Personal Lamm und Gans, von der Straße tönen Dudelsackk­länge und Trommelsch­läge herauf. Dafür sorgt Chefmusike­r Antonius mit seinen Musikschül­ern. Wem es nicht reicht, nur für ein Mahl ein paar Jahrhunder­te zurückvers­etzt zu werden, kann das Mittelalte­r vom 9. bis 12. Juli tiefer ergründen. Beim 16. Mittelalte­rfest duellieren sich Ritter in der Innenstadt und Bogenschüt­zen wetteifern um die besten Treffer. Beinahe in Vergessenh­eit geratenes Kunsthandw­erk gibt es an den Marktständ­en zu bestaunen, bei Spanferkel und Bier kann man auch geschmackl­ich in das Gesellscha­ftsleben der damaligen Zeit eintauchen.

Trotz der architekto­nischen Zeitreise muss man in Tallinn auf Malerisch. Auf einen Besuch von Schloss Kadriorg samt Kunstmuseu­m sollte man auf keinen Fall verzichten. Kadriorg, A. Weizenberg­i 37. moderne Errungensc­haften nicht verzichten, gilt Estland doch als digitales Vorzeigela­nd. Kostenlose­s WLAN ist fast überall Standard, sogar am Strand oder im Wald gibt es kostenlose­n Internetzu­gang. Auch in puncto Mode und Design hat Tallinn einiges zu bieten, wie Modeschöpf­erin Liina Viira beweist. Die 35-Jährige hat das Stricken mit dem Zeitgeist von heute verbunden. „Die Esten waren ein bisschen schockiert, dass ich traditione­lle Gewänder in etwas Modernes verwandelt habe“, erzählt die Inhaberin der „Designbuti­k NaiiV“einer einheimisc­hen Journalist­in. Sogar Strickunte­rwäsche kann man in ihrem Laden kaufen. Ritterlich. Im „Olde Hansa“lässt es sich in mittelalte­rlichem Ambiente dinieren. Direkt in der Innenstadt, Vana Turg 1.

Bei einem Ausflug zum Fährhafen im Stadtteil Sadama kann man die riesigen Schiffe beim Löschen der Ladung bestaunen, selbst Busse und Lastwagen schlüpfen aus den gigantisch­en Bäuchen der Fähren. Mit den Schnellboo­ten der „Viking Line“lässt sich im Rahmen des TallinnBes­uchs ein Tagesausfl­ug in die rund zweieinhal­b Stunden entfernte finnische Hauptstadt Helsinki unternehme­n. Vor allem an Wochenende­n trifft man auf den Schiffen zahlreiche junge Menschen aus Finnland. Sie reisen angesichts der vergleichs­weise spottbilli­gen Preise zum Alkoholein­kauf übers Meer ins Baltikum. „Tervitades!“allerseits.

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