Die SPÖ beerdigt die Vranitzky-Doktrin
Niessl ist nicht Tabubrecher, sondern Trendsetter.
Es war in der SPÖ schon öfters so, dass zweitrangige Wahlen die größten politischen Erdbeben ausgelöst haben. Das Debakel 2008 in Tirol brachte das Fass zum Überlaufen und schwemmte Alfred Gusenbauer als Parteichef hinweg. Fast auf den Tag genau vor sieben Jahren übernahm Werner Faymann das rote Ruder.
Nun erschüttert das Burgenland die Grundfeste der SPÖ: Die altehrwürdige VranitzkyDoktrin, wonach die SPÖ keine Koalition mit der FPÖ eingehen dürfe, wird gerade zu Grabe getragen. Niessls Pakt stellt die SPÖ vor eine schwere Zerreißprobe. Faymann und Häupl schäumen, können und wollen aber nichts dagegen ausrichten.
Besonders bitter ist freilich, dass der rote Paradigmenwechsel nicht durch einen Sinneswandel in der FPÖ ausgelöst wurde. Strache muss man zugutegehalten, dass er in den letzten Jahren zweifelhafte Leute wie Graf und Rosenkranz kaltgestellt hat. Vom Saulus zum Paulus hat sich Strache aber nicht gewandelt. In der Asyldebatte oder beim Europa wird weiter drauflosgeholzt.
Der Paradigmenwechsel ist in erster Linie rotem Machtkalkül geschuldet – und das ist nicht gleich verwerflich. Was im Burgenland drohte, droht vielleicht auch in der Steiermark, womöglich unter anderen Vorzeichen in Oberösterreich: dass sich die SPÖ durch eine moralisch überhöhte Selbstfesselung ins machtpolitische Out befördert. Der Schwenk geht auch mit der bitteren Erkenntnis einher, dass man jene heißen Eisen, die die Leute im Gemeindebau und an der Basis auf die Palme bringen, der FPÖ überlassen hat.
In der roten Empörungswelle bestimmt der Standort den Standpunkt. Anders als Niessl kann sich Häupl nach der Wahl den Koalitionspartner aussuchen. Eine Koalition gegen die SPÖ ist undenkbar, es sei denn, Strache und Vassilakou koalieren. Häupl kann sich aus einer komfortablen Position heraus über Niessl echauffieren.
Angesichts der politischen Gemengelage dürfte Niessl nicht als Tabubrecher, sondern als Trendsetter in die rote Geschichte eingehen. Die Dämme sind endgültig gebrochen. Wie in diversen Gemeinden bereits heute wird die SPÖ bei Bedarf auch in anderen Ländern mit der FPÖ koalieren. Nach dem Muster der Neutralität wird nun auch die Vranitzky-Doktrin scheibchenweise entsorgt. n dieser aufgeheizten Situation empfiehlt sich ein Blick ins Koalitionsabkommen. Blaue Grauslichkeiten sucht man darin vergeblich. Keine andere FPÖ steht derzeit so unter Beobachtung wie die burgenländische. In gewisser Weise wandelt Niessl bereits auf Schüssels Spuren.
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