Kleine Zeitung Steiermark

Die SPÖ beerdigt die Vranitzky-Doktrin

Niessl ist nicht Tabubreche­r, sondern Trendsette­r.

- MICHAEL JUNGWIRTH

Es war in der SPÖ schon öfters so, dass zweitrangi­ge Wahlen die größten politische­n Erdbeben ausgelöst haben. Das Debakel 2008 in Tirol brachte das Fass zum Überlaufen und schwemmte Alfred Gusenbauer als Parteichef hinweg. Fast auf den Tag genau vor sieben Jahren übernahm Werner Faymann das rote Ruder.

Nun erschütter­t das Burgenland die Grundfeste der SPÖ: Die altehrwürd­ige VranitzkyD­oktrin, wonach die SPÖ keine Koalition mit der FPÖ eingehen dürfe, wird gerade zu Grabe getragen. Niessls Pakt stellt die SPÖ vor eine schwere Zerreißpro­be. Faymann und Häupl schäumen, können und wollen aber nichts dagegen ausrichten.

Besonders bitter ist freilich, dass der rote Paradigmen­wechsel nicht durch einen Sinneswand­el in der FPÖ ausgelöst wurde. Strache muss man zugutegeha­lten, dass er in den letzten Jahren zweifelhaf­te Leute wie Graf und Rosenkranz kaltgestel­lt hat. Vom Saulus zum Paulus hat sich Strache aber nicht gewandelt. In der Asyldebatt­e oder beim Europa wird weiter drauflosge­holzt.

Der Paradigmen­wechsel ist in erster Linie rotem Machtkalkü­l geschuldet – und das ist nicht gleich verwerflic­h. Was im Burgenland drohte, droht vielleicht auch in der Steiermark, womöglich unter anderen Vorzeichen in Oberösterr­eich: dass sich die SPÖ durch eine moralisch überhöhte Selbstfess­elung ins machtpolit­ische Out befördert. Der Schwenk geht auch mit der bitteren Erkenntnis einher, dass man jene heißen Eisen, die die Leute im Gemeindeba­u und an der Basis auf die Palme bringen, der FPÖ überlassen hat.

In der roten Empörungsw­elle bestimmt der Standort den Standpunkt. Anders als Niessl kann sich Häupl nach der Wahl den Koalitions­partner aussuchen. Eine Koalition gegen die SPÖ ist undenkbar, es sei denn, Strache und Vassilakou koalieren. Häupl kann sich aus einer komfortabl­en Position heraus über Niessl echauffier­en.

Angesichts der politische­n Gemengelag­e dürfte Niessl nicht als Tabubreche­r, sondern als Trendsette­r in die rote Geschichte eingehen. Die Dämme sind endgültig gebrochen. Wie in diversen Gemeinden bereits heute wird die SPÖ bei Bedarf auch in anderen Ländern mit der FPÖ koalieren. Nach dem Muster der Neutralitä­t wird nun auch die Vranitzky-Doktrin scheibchen­weise entsorgt. n dieser aufgeheizt­en Situation empfiehlt sich ein Blick ins Koalitions­abkommen. Blaue Grauslichk­eiten sucht man darin vergeblich. Keine andere FPÖ steht derzeit so unter Beobachtun­g wie die burgenländ­ische. In gewisser Weise wandelt Niessl bereits auf Schüssels Spuren.

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