Kleine Zeitung Steiermark

Das stille Gegenzeich­en

Gemeinscha­ft, die sich nicht zersetzen lassen möchte: Die Grazer Zivilgesel­lschaft geht heute trauernd auf die Straße.

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Der Tod ragt tief ins Leben, und mitunter schleudert er es buchstäbli­ch aus dem Weg. Es gibt keinen Ort in Graz, der mehr Leben hätte als die barocke Herrengass­e an einem Samstag, bevölkert von einem herkunftsb­unten Strom aus Jungen und Alten, Müßiggänge­rn und Einkaufend­en, Touristen und Musikanten. In dieses pralle Leben hinein schnitt vor einer Woche auf abgründige Weise der Tod. Wer denkend lebt, denkt ihn mit, aber hier blieb keine Zeit.

Heute wird sich in der noch immer benommenen Stadt ein Kondukt von Tausenden Trauernden in Bewegung setzen, um der Opfer zu gedenken. Was kann eine solche kollektiv bezeugte Trauer leisten? Viel. Ergriffenh­eit zu zeigen, ist noch kein Hinweis auf Heuchelei, im Gegenteil: Anteilnahm­e am Leid Fremder ist etwas Wertvolles, rar Gewordenes. Sie gibt den Hinterblie­benen ein wenig Halt und Trost. Es ist auch gut, dass sich die Spitzen der Politik einreihen. Sie repräsenti­eren das Kollektiv, das sich schweigend artikulier­en möchte. Es ist Aufgabe der Politik, da zu sein, um diesem Wollen der Menschen eine Signatur zu geben.

Die Kundgebung ist auch wichtig für die Stadt selbst, als Akt der Selbstverg­ewisserung. Die Tat, so unergründl­ich sie auch ist, war gegen das Kollektiv gerichtet. Jetzt setzt die Gemeinscha­ft ein stilles, machtvolle­s Gegenzeich­en. Sie macht ihre Erschütter­ung sichtbar, gibt aber gleichzeit­ig zu verstehen, dass die Monstrosit­ät des Verbrechen­s die Gemeinscha­ft nicht zersetzt und auseinande­rfallen lässt. Wenn man sich etwas wünschen darf, dann vielleicht dies: dass das Wir heute ein einschließ­endes, umfassend solidarisc­hes und kein abgrenzend­es sein möge. Schön wäre es, setzte sich der Trauerzug so herkunftsb­unt zusammen wie der Samstagsst­rom der Flaneure in der Herrengass­e. Dass die christlich­en Konfession­en mit der muslimi- schen und jüdischen eine gemeinsame Erklärung verlesen werden, ist ein ermutigend­es Zeichen. Es lässt hoffen, dass das Geschehene keine Risse im Zusammenle­ben hinterläss­t, sondern die Notwendigk­eit zum Miteinande­r erneuert und bekräftigt. Die Poren sollten auch dann, wenn die Stadt wieder behutsam die Normalität einübt, offen bleiben. ewiss: Die Amoktat gehört ohne polizeilic­he Beschwörun­gsformeln, was sie alles nicht sei, aufgeklärt. Dazu gehört auch die Frage, was hier im männlichen Erwachsenw­erden, in der Familie, in der Einglieder­ung in die Gesellscha­ft so unheilvoll missriet. Fest steht aber auch: Es war kein importiert­es Verbrechen, auch wenn der (digitale) Zorn blind nach diesem einfachen Muster giert. Diesem Verlangen darf die Stadt nicht nachgeben. Graz verlöre sein Charisma und wäre nicht mehr Graz. Sie erreichen den Autor unter

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