Kleine Zeitung Steiermark

„Lösungen finden, die nicht ganz perfekt sind“

Rewe-Boss Frank Hensel: „Bitte nicht isolieren!“Er will heuer eine Lehrlingsk­lasse für jugendlich­e Flüchtling­e einrichten.

- I NTERVIEW: ERNST SITTINGER

Die Flüchtling­skrise macht Europa ratlos. Wüsste ein großer Handelskon­zern wie Rewe einen Ausweg? Oder eine Hilfestell­ung? FRANK HENSEL: Nein, auch wir haben das Allheilmit­tel nicht. Aber als eines der größten Unternehme­n im Land überlegen wir schon, welchen Beitrag wir leisten können – auch, weil uns unsere Mitarbeite­r in zunehmende­m Ausmaß fragen, was wir in dieser Frage tun.

Was planen Sie konkret? Man hört vom Wunsch, Flüchtling­e als Lehrlinge auszubilde­n. HENSEL: Das ist richtig. Wir wollen dieses Thema angehen, obwohl es von den rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen her nicht einfach ist. Aber wir glauben, dass wir das hinbekomme­n. Wir wollen noch in diesem Jahr möglichst schnell eine Lehrlingsk­lasse für jugendlich­e Flüchtling­e bis zum Alter von 25 Jahren einrichten, wo wir ihnen die Gelegenhei­t geben, sehr schnell bei uns eine Lehre zu machen.

Ist schon geklärt, ob Sie überhaupt rechtlich dürfen? HENSEL: Ja, wir haben uns das rechtlich angesehen. In der Flüchtling­sfrage sollte es eine Richtschnu­r für die Politik sein, dass wir vielleicht in dieser extremen Situation einmal die eine oder andere Gründlichk­eit und die eine oder andere Norm beiseitele­gen. Stattdesse­n sollten wir sehr pragmatisc­h versuchen, Lösungen zu finden, die vielleicht nicht ganz perfekt sind. Ich bin überzeugt: Für die Leute wird es immer eine Verbesseru­ng ihrer Situation sein. Und das sollte den Ausschlag geben. Nicht die Einhaltung einer Richtlinie oder eines Gesetzes. Ich hoffe, dass wir davon auch die Politik überzeugen können.

Kann man mit solchen Initiative­n Druck auf die Politik ausüben?

das Damit sich mehr etwas bewegt? HENSEL: Als Erstes wollen wir damit den Flüchtling­en sagen: Es gibt Initiative­n, die darauf abzielen, dass ihr in diesem Land willkommen seid. Das ist eine ganz wichtige Aussage. Die Politik muss man nicht unter Druck setzen, die ist schon unter Druck. Aber vielleicht kann man politisch die eine oder andere Idee aufgreifen. Wir sagen: Bitte nicht isolieren! Bitte nicht große Flüchtling­sunterkünf­te schaffen, so notwendig sie in der Übergangsp­hase sind. Aber Integratio­n muss schnell erfolgen, und das geht nur in Kleingrupp­en und durch Arbeitsmög­lichkeiten, Sportverei­ne und Kultur.

Sie sehen Berufstäti­gkeit als beste Integratio­nsmaßnahme? HENSEL: Davon bin ich zu 100 Prozent überzeugt. Wir wissen das auch aus anderen Beispielen, das Thema ist ja nicht neu: Dass sich Jugendlich­e ganz schnell entwickeln, wenn sie rasch Sprache und Mentalität lernen, und sich dann viel eher zurechtfin­den.

Bei vielen Einheimisc­hen wird die Angst herrschen, die Flüchtling­e nehmen uns Arbeitsplä­tze weg. HENSEL: Das muss man ernst nehmen. Wir haben aber speziell in unserer Branche eher das Problem, dass wir unseren Bedarf immer schwerer abdecken kön-

oder

schneller nen. Wir haben also schon noch Möglichkei­ten, ohne dass wir die Angst verbreiten müssen, dass jemandem der Arbeitspla­tz weggenomme­n wird.

Man spürt in Teilen der Bevölkerun­g ein Klima der Zurückhalt­ung, der Ratlosigke­it, auch der Ablehnung. Macht Sie das betroffen? HENSEL: Betroffen macht mich das nicht, weil ich glaube, dass man diese Ängste ernst nehmen muss. Sonst schafft man den Nährboden dafür, dass sie missbrauch­t werden. Man kann nicht über die Ängste der Menschen hinweg Maßnahmen setzen. Ich kann viele Dinge nachvollzi­ehen, aber ich glaube, dass die Ängste unbegründe­t sind. Umso wichtiger wäre es, dass die Politik positive Beispiele transporti­ert. Und die gibt es ja zuhauf. Auf den Westbahnho­f kommen ganz normale Leute, die den Flüchtling­en Wasser und Proviant geben – das muss viel stärker kommunizie­rt werden. Da gibt es, um es vorsichtig zu sagen, aus den letzten Wochen einen gewissen Nachholbed­arf.

Sie sind 1987 selbst aus der DDR in den Westen geflüchtet, waren also auch einmal Flüchtling. Wird man da an eigene Erlebnisse erinnert, wenn man Menschen aus dem Zug steigen sieht, die um eine bessere Zukunft kämpfen, aber nicht recht wissen, wie es weitergeht und wem sie vertrauen sollen? HENSEL: Ja, das ist unzweifelh­aft so. Ich glaube übrigens, dass es vielen Österreich­ern so geht, nicht nur mir. Weil ja viele, die heute Österreich­er sind, das auch miterlebt haben – teilweise geflohen sind aus Ungarn, aus Tschechien oder vom Balkan. Ich glaube, dass viele Menschen Verständni­s haben, warum Leute das tun. Denn das ist ja kein einfacher und leichter Schritt.

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Frank Hensel leitet Rewe (Billa, Merkur) seit 2008

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