„Lösungen finden, die nicht ganz perfekt sind“
Rewe-Boss Frank Hensel: „Bitte nicht isolieren!“Er will heuer eine Lehrlingsklasse für jugendliche Flüchtlinge einrichten.
Die Flüchtlingskrise macht Europa ratlos. Wüsste ein großer Handelskonzern wie Rewe einen Ausweg? Oder eine Hilfestellung? FRANK HENSEL: Nein, auch wir haben das Allheilmittel nicht. Aber als eines der größten Unternehmen im Land überlegen wir schon, welchen Beitrag wir leisten können – auch, weil uns unsere Mitarbeiter in zunehmendem Ausmaß fragen, was wir in dieser Frage tun.
Was planen Sie konkret? Man hört vom Wunsch, Flüchtlinge als Lehrlinge auszubilden. HENSEL: Das ist richtig. Wir wollen dieses Thema angehen, obwohl es von den rechtlichen Rahmenbedingungen her nicht einfach ist. Aber wir glauben, dass wir das hinbekommen. Wir wollen noch in diesem Jahr möglichst schnell eine Lehrlingsklasse für jugendliche Flüchtlinge bis zum Alter von 25 Jahren einrichten, wo wir ihnen die Gelegenheit geben, sehr schnell bei uns eine Lehre zu machen.
Ist schon geklärt, ob Sie überhaupt rechtlich dürfen? HENSEL: Ja, wir haben uns das rechtlich angesehen. In der Flüchtlingsfrage sollte es eine Richtschnur für die Politik sein, dass wir vielleicht in dieser extremen Situation einmal die eine oder andere Gründlichkeit und die eine oder andere Norm beiseitelegen. Stattdessen sollten wir sehr pragmatisch versuchen, Lösungen zu finden, die vielleicht nicht ganz perfekt sind. Ich bin überzeugt: Für die Leute wird es immer eine Verbesserung ihrer Situation sein. Und das sollte den Ausschlag geben. Nicht die Einhaltung einer Richtlinie oder eines Gesetzes. Ich hoffe, dass wir davon auch die Politik überzeugen können.
Kann man mit solchen Initiativen Druck auf die Politik ausüben?
das Damit sich mehr etwas bewegt? HENSEL: Als Erstes wollen wir damit den Flüchtlingen sagen: Es gibt Initiativen, die darauf abzielen, dass ihr in diesem Land willkommen seid. Das ist eine ganz wichtige Aussage. Die Politik muss man nicht unter Druck setzen, die ist schon unter Druck. Aber vielleicht kann man politisch die eine oder andere Idee aufgreifen. Wir sagen: Bitte nicht isolieren! Bitte nicht große Flüchtlingsunterkünfte schaffen, so notwendig sie in der Übergangsphase sind. Aber Integration muss schnell erfolgen, und das geht nur in Kleingruppen und durch Arbeitsmöglichkeiten, Sportvereine und Kultur.
Sie sehen Berufstätigkeit als beste Integrationsmaßnahme? HENSEL: Davon bin ich zu 100 Prozent überzeugt. Wir wissen das auch aus anderen Beispielen, das Thema ist ja nicht neu: Dass sich Jugendliche ganz schnell entwickeln, wenn sie rasch Sprache und Mentalität lernen, und sich dann viel eher zurechtfinden.
Bei vielen Einheimischen wird die Angst herrschen, die Flüchtlinge nehmen uns Arbeitsplätze weg. HENSEL: Das muss man ernst nehmen. Wir haben aber speziell in unserer Branche eher das Problem, dass wir unseren Bedarf immer schwerer abdecken kön-
oder
schneller nen. Wir haben also schon noch Möglichkeiten, ohne dass wir die Angst verbreiten müssen, dass jemandem der Arbeitsplatz weggenommen wird.
Man spürt in Teilen der Bevölkerung ein Klima der Zurückhaltung, der Ratlosigkeit, auch der Ablehnung. Macht Sie das betroffen? HENSEL: Betroffen macht mich das nicht, weil ich glaube, dass man diese Ängste ernst nehmen muss. Sonst schafft man den Nährboden dafür, dass sie missbraucht werden. Man kann nicht über die Ängste der Menschen hinweg Maßnahmen setzen. Ich kann viele Dinge nachvollziehen, aber ich glaube, dass die Ängste unbegründet sind. Umso wichtiger wäre es, dass die Politik positive Beispiele transportiert. Und die gibt es ja zuhauf. Auf den Westbahnhof kommen ganz normale Leute, die den Flüchtlingen Wasser und Proviant geben – das muss viel stärker kommuniziert werden. Da gibt es, um es vorsichtig zu sagen, aus den letzten Wochen einen gewissen Nachholbedarf.
Sie sind 1987 selbst aus der DDR in den Westen geflüchtet, waren also auch einmal Flüchtling. Wird man da an eigene Erlebnisse erinnert, wenn man Menschen aus dem Zug steigen sieht, die um eine bessere Zukunft kämpfen, aber nicht recht wissen, wie es weitergeht und wem sie vertrauen sollen? HENSEL: Ja, das ist unzweifelhaft so. Ich glaube übrigens, dass es vielen Österreichern so geht, nicht nur mir. Weil ja viele, die heute Österreicher sind, das auch miterlebt haben – teilweise geflohen sind aus Ungarn, aus Tschechien oder vom Balkan. Ich glaube, dass viele Menschen Verständnis haben, warum Leute das tun. Denn das ist ja kein einfacher und leichter Schritt.