Kleine Zeitung Steiermark

Die Flucht konnte ihre Karriere nicht stoppen ZUR PERSON

Bilder der aktuellen „Völkerwand­erung“brechen Vesna BjelicRadi­sic das Herz. Die Medizineri­n flüchtete 1993 selbst vor dem Krieg in Bosnien. Sie kämpfte Jahre darum, bei uns als Ärztin arbeiten zu können. Jetzt will sie selbst Asylwerber­n helfen.

- BERND HECKE

Wenn ihr Mann Darko, der als Bauingenie­ur beruflich in München zu tun hat, von Müttern erzählt, die mit Kindern in der U-Bahn-Station schlafen . . . Wenn sie die Bilder von Traiskirch­en, vom Budapester Bahnhof sieht . . . Wenn sie die Nachrichte­n hört von den Menschen, die auf ihrer verzweifel­ten Flucht aus Kriegsgebi­eten in einem Lkw elendiglic­h ersticken . . . dann bricht das Vesna Bjelic-Radisic das Herz.

Nicht nur, weil die europaweit angesehene Brustkrebs­spezialist­in ein Herz für Menschen in Not hat, sondern auch, weil sie am eigenen Leib erlebt hat, was es heißt, auf der Flucht zu sein. „Ich bin 1993 als 27-Jährige mit meinem damals dreijährig­en Sohn am Arm in Nickelsdor­f zu Fuß über die Grenze nach Österreich gekommen.“Als der Krieg in ExJugoslaw­ien ihrer bosnischen Heimatstad­t Sarajewo immer nä- Vesna Bjelic-Radisic (48) war in Bosnien gerade in ihrer Facharztau­sbildung, als sie 1993 die Flucht antrat. Danach studierte und arbeitete sie bis 2005, damit sie in Österreich als Fachärztin für Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe praktizier­en durfte. Heute ist sie Doppeldokt­orin, hat sich habilitier­t, lehrt und forscht an der MedUni Graz und ist eine angesehene Brustkrebs­spezialist­in. Sie ist mit Darko Radisic verheirate­t und hat zwei erwachsene Kinder. her kam, war der gebürtigen Kroatin und ihrem Mann klar: „Unser Kind sollte nicht in diesem Krieg aufwachsen.“

Ohne Perspektiv­e

Vesna Bjelic-Radisic machte sich bei Nacht und Nebel auf und davon – „mit dem letzten Zug, der damals aus Sarajewo abfuhr“. Ihr Mann Darko konnte zunächst noch nicht mitgehen. Zu siebent bei anderen Familienmi­tgliedern landete die Medizineri­n in einer 40 Quadratmet­er großen Wohnung in Wien. Ohne Perspektiv­e, ohne Hoffnung und mit dem vagen Plan, nach Kanada auszureise­n. Die stärkste Erinnerung: „Wir hatten damals alle Hunger, weil die finanziell­e Unterstütz­ung sehr gering war und wir nicht arbeiten durften.“

Weil das Warten auf das Visum aber ein Jahr gedauert hätte, blieb die Ärztin in Österreich. Es begann ein langer Kampf. Das Ziel: als hoch qualifizie­rte Medizineri­n in diesem Land arbeiten zu dürfen. Denn das Studium wurde nicht anerkannt. Sie musste in Innsbruck drei Prüfungen machen, bekam ihr Diplom ein Jahr nach der Einreise anerkannt und pilgerte in Wien zur Ärztekamme­r: „Dort hat man mir gesagt, ohne Staatsbürg­erschaft können Sie nicht als Ärztin arbeiten.“

Statt Leben retten zu können, musste die heute 48-Jährige sich als Putzfrau von ihrer Dienstgebe­rin anhören, „wie das Bügeleisen funktionie­rt“. Dann arbeitete sie als Laborantin, als Ordination­sgehilfin und wäre 1998 wohl noch immer nicht Staatsbürg­erin geworden, hätte nicht die Regierung den 1994 über die Familienzu­sammenführ­ung nachgeholt­en Mann Darko als Spezialist­en für den Wiederaufb­au Bosniens ständig ins Ausland geschickt. Da brauchte er den österreich­ischen Pass.

Sieben verlorene Jahre

Dann? Musste sie auch noch den Turnus und die Facharztau­sbildung nachholen. Sie pendelte dafür von Wien nach Leoben, weil hier die Wartezeite­n kürzer waren. 2000 gab es dann endlich in Graz eine fixe Stelle für die Facharztau­sbildung als Gynäkologi­n. Die Familie zog in die Landeshaup­tstadt. 2005, nach zwölf Jahren, war Bjelic-Radisic als ausgebilde­te Fachärztin in Österreich in ihrer Laufbahn wieder dort, wo sie 1993 in Sarajewo schon beinahe gewesen war. Heute ist sie Professori­n an der MedUni Graz und in Europa angesehene Brustkrebs­spezialist­in, die zwischen Graz, Amsterdam und London hin- und herjettet.

Hört die gebürtige Kroatin von Müttern, die mit ihren Kindern in Münchner U-Bahn-Stationen schlafen, muss sie einfach etwas tun: „Also habe ich mit Michael Schenk vom Kinderwuns­chinstitut Dobl gesprochen, wo ich ja meine Ordination habe.“Beide haben beschlosse­n, dass sie das, was sie am besten können, Flüchtling­en anbieten, erzählt der Gynäkologe: „Wir wollen Asylwerber­n Untersuchu­ngen, in Kooperatio­n mit der Pharmaindu­strie Medikament­e und Behandlung­en anbieten.“(Die Details dazu siehe rechts.)

Bjelic-Radisic weiß, trotz aller Kraft, die sie aufgebrach­t hat, „dass man als Flüchtling in einem fremden Land einfach auch Hilfe braucht. Und es sind bei uns nicht Institutio­nen, sondern ganz normale Menschen gewesen, die man kennengele­rnt hat, die aus freien Stücken geholfen haben“, ist sie einigen heute noch verbunden und dankbar. Jetzt ist es für sie an der Zeit zu helfen.

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Von der Frau auf der Flucht zur

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