Nutzt eure Chance!
In der neu erschienenen Biografie „Niemals aufgeben“zieht Hannes Androsch die Lehren aus seinem Leben als Politiker und Industrieller, daraus formuliert er seinen Appell in zehn Punkten an die Jungen.
dueller Einsatz sind aber politische Rahmenbedingungen: Die bildungspolitischen Versäumnisse sind gerade in unseren Breitengraden ebenso ein Skandal wie die Tatsache, dass allein in den 28 EU-Mitgliedsländern beinahe jeder vierte junge Erwachsene arbeitslos ist, nämlich mehr als fünf Millionen unter 25 Jahren. Wenn ihr aber vom Leben, vom Land oder eurer Familie eine Chance bekommt, so nutzt sie. Es ist wie bei einem Fußballspiel: Man muss gerne Fußball spielen, man muss trainiert haben, und man muss Tore erzielen können und wollen. Es gehört auch etwas Glück dazu – auch einen Elfmeter kann man vergeben.
4.Seid selbstbewusst, aber auch solidarisch um eure Freiheit besorgt! Freiheit muss erkämpft werden, nicht nur im „großen“Kampf gegen autoritäre Strukturen und Systeme, sondern auch im „kleinen“, alltäglichen Leben: Freiheit bedeutet auch Verantwortlichkeit, für sich wie für andere. „Nur der verdient die Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“(Goethe) Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Eigenvorsorge sind die Voraussetzungen für Freiheit und Solidarität. „Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit; das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fürchten.“(George Bernard Shaw) Ohne Leistungsgerechtigkeit gibt es keine Verteilungsgerechtigkeit. Und ohne Chancengleichheit – und damit Durchlässigkeit im Bildungsbereich – keines von beiden. Die größten Ungleichheiten entstehen durch unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zur Bildung. Stabile Gesellschaften brauchen aber ein Mindestmaß an fairer Ausgewogenheit, an Solidarität und Teilhabe, materiell wie immateriell. Verteilt kann aber nur werden, was vorher erwirtschaftet wurde: Nur wer sät, kann auch ernten.
5.Seid international, denkt über die Tellerränder Österreichs hinaus, auch über die Europas! Nutzt die Chancen, welche die unumkehrbare Globalisierung mit sich bringt, fürchtet euch nicht davor. Natürlich ist es bisweilen schwer, sich zurechtzufinden in der neuen Unübersichtlichkeit und Komplexität der modernen Welt, angesichts des enormen Tempos der digitalen Revolution und der riesigen Herausforderungen der weltweiten Konkurrenzen. Aber: Nur wer sich diesen Globalitäten mit all ihren – auch – individuellen Chancen stellt, wird bestehen können. Und wird vielleicht dazu beitragen können, dass die Fortschritte der modernen Welt wirklich international werden. Dass es – um mit Eric Hobsbawm zu sprechen – einem Durchschnittsbürger heute besser geht als einem Monarchen vor 200 Jahren, dass es uns mit unseren Kindern und Enkelkindern unendlich bes-
6.Trotz der vielen Opfer zweier Weltkriege, trotz eines schmerzhaften Bürgerkriegs in der Zwischenkriegszeit, trotz der Ausrottung wichtiger Bevölkerungsgruppen – vor allem der jüdischen – durch den Nationalsozialismus, trotz der Belastungen durch eine zehnjährige Besatzung – danach steht Österreich heute als ein Land da, das in vielen internationalen Wirtschaftsvergleichen hervorragende Positionen einnimmt. Wir alle leben im elftreichsten Land der Welt, im drittreichsten Europas, trotz aller bestehenden Verteilungsunterschiede auch in einem der sozial am ehesten ausgeglichenen. Und Wien wird regelmäßig unter die drei Städte mit der weltbesten Lebensqualität gereiht, was aber immer von Neuem erkämpft werden muss.
7.Seid euch aber auch dessen bewusst, dass Österreich grundlegende Reformen benötigt! Österreich gerät in den letzten Jahren zunehmend in Gefahr, diese Spitzenposition zu verlieren. So hat der Wohlfahrtsstaat, eine der größten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, an Treffsicherheit eingebüßt: Der Anteil aller Sozialausgaben an der jährlichen Wirtschaftsleistung ist seit Einführung des ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) im Jahr 1956 von 16 Prozent auf 21 Prozent (1970), 26 Prozent (1990) und 31 Prozent (2014) gestiegen, gleichzeitig ist aber der Anteil der – relativ – Armen nicht gesunken. Auch andere Förderbereiche zeigen (zu) wenig Wirkung. Wir haben etwa eine der niedrigsten Geburtenraten, dafür aber eines der höchstdotierten Familienförderungssysteme der Welt: weil zu viel Geld direkt ausgezahlt wird, aber zu wenig Sachleistungen (Kinderbetreuungsplätze) den Familien zugutekommen.