Kleine Zeitung Steiermark

Und dann entlud sich der Frust

Balkanrout­e ändert ihre Streckenfü­hrung. Kroatien löst Ungarn als Transitlan­d ab. Doch einige landeten noch am Zaun und ließen Ärger freien Lauf.

- KORRESPOND­ENTEN NORBERT MAPPES- NIEDIEK

Nach Abriegelun­g der ungarische­n Grenze zu Serbien haben aufgebrach­te Flüchtling­e die Absperrung­en in Röszke angegriffe­n. Tausend Flüchtling­e wurden laut ungarische­n Behörden zurückgedr­ängt. Es kam dabei zu stundenlan­gen Tumulten. Die Polizei setzte Wasserwerf­er und Tränengas ein. Die Flüchtling­e hatten Polizisten mit Steinen und Holzstücke­n beworfen. Dabei riefen sie “Öffnen, öffnen“.

Nach Angaben des Regierungs­beraters György Bakondi wurden 20 Polizisten verletzt. Auch unter den Flüchtling­en gab es Verletzte. Regierungs­sprecher Zoltan Kovacs erklärte: „Bewaffnete illegale Migranten haben die ungarische Grenze angegriffe­n und die Sperre durchbroch­en.“Die Ankunft von serbischen Polizisten wurde von Flüchtling­en mit Beifall begrüßt. Ungarns Außenminis­ter Peter Szijjarto verlangte von seinem serbischen Kollegen Ivica Dacic, die Polizei gegen Ruhestörer einzusetze­n. Die Polizei verhielt sich aber passiv.

Unterdesse­n berichtete ein syrischer Flüchtling, der mit 70 anderen sichtbar erschöpft mit dem ersten Bus aus Serbien in Kroatien eintraf, es sei „eine regelrecht­e Rallye-Fahrt“gewesen. Tags zuvor waren sechs Autostunde­n weiter südlich, am serbisch-mazedonisc­hen Übergang bei Presevo, erstmals Zettel aufgetauch­t, die eine Ausweichro­ute für das abgesperrt­e Ungarn empfahlen. Am Dienstag wechselten die Busse ihre Richtungss­childer: Statt „Presevo-Hungary“steht nun „Presevo-Croatia“darauf.

In Kroatien ist alles gut vorbereite­t. Private und von der serbischen Regierung gechartert­e Autobusse bringen Flüchtling­e nach ihrer Registrier­ung nach Sid an die Grenze. Von Sid aus führt ein kurzer Fußweg an die Grenzlinie; gleich dahinter wartet das Erstaufnah­mezentrum Tovarnik auf die Ankommende­n. Insgesamt wurde dort mit bis zu 3000 Menschen gerechnet. Überrascht gewesen sei man nur von dem hohen Anteil an Frauen und Kindern, sagte ein Katastroph­enschutzma­nn. In Kroatien war der Zustrom seit Wochen erwartet worden – und wurde entspreche­nd gelassen zur Kenntnis genommen. 3200 Übernachtu­ngs- plätze in verschiede­nen Orten stehen bereit – und offenbar ausreichen­d Transportk­apazitäten für die Weiterreis­e nach Slowenien. Innenminis­ter Ranko Ostojic sprach von einem „genauen Plan“, ohne aber Details zu verraten. Man sei in ständigem Kontakt mit den Behörden in Serbien, Slowenien und Österreich. Kroatische Medien meldeten, auch mit dem UN-Flüchtling­shilfswerk sei über die Ausweichro­ute „verhandelt“worden. Dessen Regionalsp­recherin Melita Sunjic dementiert: „Das ist nicht unsere Aufgabe.“Informiert sei ihre Behörde aber gewesen.

In den vergangene­n Tagen hat das Zagreber Innenminis­terium nicht weniger als 6000 Polizisten an die serbische Grenze verlegt. Sie sollen verhindern, dass Flüchtling­e ungeordnet über die grüne Grenze kommen. Zur Abschrecku­ng wird auf Minen hingewiese­n, die seit dem Krieg der Neunzigerj­ahre im Grenzgebie­t noch versteckt sind. Von 64.000 Sprengfall­en wurden bisher nur 13.000 identifizi­ert; 200 Menschen kamen seit Kriegsende durch Minen ums Leben. An der Einreise hindern will Zagreb die Flüchtling­e nicht; nur soll der Übertritt geordnet erfolgen.

Schon vor Wochen hat Premier Zoran Milanovic klargemach­t, dass sein Land nicht dem ungarische­n Beispiel folgen und die Grenze schließen will. Die Stimmung gegenüber Flüchtling­en ist, ähnlich wie in Serbien, freundlich. In Sisak wurde ein Bus mit Familien von Helfern mit Spenden begrüßt. Auch die Opposition­spartei HDZ, die ansonsten ganz auf nationale Themen setzt, äußerte im beginnende­n Wahlkampf nur vorsichtig Besorgnis und warnte vor „Sicherheit­sproblemen“. Immer wieder taucht der Hinweis auf, während des Krieges hätten 47.000 Kroaten im Ausland Zuflucht gefunden.

In Belgrad kursierten unter Flüchtling­en kopierte Fahrpläne für Zugverbind­ungen bis nach Jesenice an der österreich­ischen Grenze. Regierung und Medien gehen davon aus, dass Kroatien so gut wie ausschließ­lich für den Transit genützt wird. Zwar müss-

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Die ungarische Polizei hat an der serbischen Grenze bei Röszke Tränengas gegen Flüchtling­e eingesetzt, die Polizisten mit Gegenständ­en beworfen und das Grenztor eingedrück­t hatten

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