Kleine Zeitung Steiermark

„Europa steht auf Messers

Frankreich­s Premier Manuel Valls sieht in der Flüchtling­skrise keine Alternativ­e zur EU-Lösung. „Deutschlan­d, Österreich oder Frankreich können nicht alleine die Last tragen.“

- MICHAEL J UNGWIRTH

Eine Mischung aus tiefer Nachdenkli­chkeit und klarer Entschloss­enheit legt Frankreich­s Premiermin­ister Manuel Valls angesichts der Flüchtling­skrise an den Tag. Am Rande eines Blitzbesuc­hs bei Bundeskanz­ler Werner Faymann gestern Abend in Wien empfing der Franzose einige wenige Medien, darunter die Kleine Zeitung, zu einer längeren Aussprache im Kanzleramt.

„Wenn wir keine europäisch­e Lösung finden, droht Europa auseinande­rzubrechen“, erklärt Valls auf die Frage nach seiner Einschätzu­ng der Lage. „Schengen wäre dann auch Geschichte.“Der Premiermin­ister sieht keine Alternativ­e zu einer Einigung auf EU-Ebene mit Verteilung­szentren (Hotspots) in Griechenla­nd und Italien, verpflicht­ende Quoten, scharfe Kontrollen an Außengrenz­en. „Das wird ein schwierige­r und sehr langer Weg“, so Valls. „Es kann nicht sein, dass sechs Länder, darunter Deutschlan­d, Österreich, Frankreich, die Last allein tragen.“

„Krise stärkt Populisten“

Valls spricht offen den starken Gegenwind an, dem viele Regierunge­n, darunter jene in Frankreich oder auch Österreich, ausgesetzt sind. „Solche Krisen stär- ken die Populisten. Die Leute sind beunruhigt und sehen apokalypti­sche Bilder aus Ungarn. Eine Rede, die nur ausgrenzt, findet leichter Anklang als eine Rede der Vernunft. Wir stehen auf Messers Schneide zwischen Populismus und Vernunft.“

Ungarns Premier Viktor Orbán bezeichnet Valls wegen dessen Differenzi­erung zwischen Christen und Moslems als „Rassisten“, der französisc­he Sozialist räumt allerdings ein, dass auch einige seiner Parteifreu­nde, etwa der Slowake Robert Fico, höchst problemati­sche Sichtweise­n an den Tag legen.

Der frühere Innenminis­ter, der dem rechten Flügel der französisc­hen Sozialiste­n angehört, verfolgt allerdings keinen reinen Kuschelkur­s. Zum einen macht sich der Premier für „ernsthafte Grenzkontr­ollen an den Außengrenz­en“stark, zum anderen unterschei­det Valls deutlich zwischen Asylwerber und Wirtschaft­sflüchtlin­gen – und lässt keine Zweifel aufkommen: „Man muss jene, die kein Recht auf Asyl haben, zurückweis­en und abschieben.“Valls stuft alle Balkanländ­er sowie eine Reihe afrikanisc­her Länder als sichere Herkunftsl­änder ein.

Anders als Faymann will Valls – ähnlich wie die Bundeskanz­lerin Angela Merkel – die Osteuropäe­r, die sich gegen die Übernahme von Flüchtling­en sperren, nicht sofort mit Sanktionen belegen. „Ich will nicht drohen“, so Valls. „Wir sollten unsere Partner in Osteuropa auch an die Solidaritä­t erinnern, die wir ihnen erwiesen haben, etwa in der Ukraine-Krise.“ Manuel Valls, Frankreich­s Premier, im Gespräch mit der Kleinen Zeitung

Fünf Milliarden für Lager

Valls weilte aus Anlass eines Sozialiste­ntreffens mit SPD-Vizekanzle­r Sigmar Gabriel, Schwedens Premier Stefan Löfven und Parlaments­chef Martin Schulz in Wien. Am Rande des Treffens erhob Faymann die Forderung nach einer Finanzspri­tze von fünf Milliarden für die Flüchtling­slager in der Region. Europa, USA und Golfstaate­n sollten jeweils ein Drittel übernehmen.

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Schwedens Premier Löfven wird von Faymann empfangen Auch Sigmar Gabriel erwies dem Kanzler die Ehre

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