„Europa steht auf Messers
Frankreichs Premier Manuel Valls sieht in der Flüchtlingskrise keine Alternative zur EU-Lösung. „Deutschland, Österreich oder Frankreich können nicht alleine die Last tragen.“
Eine Mischung aus tiefer Nachdenklichkeit und klarer Entschlossenheit legt Frankreichs Premierminister Manuel Valls angesichts der Flüchtlingskrise an den Tag. Am Rande eines Blitzbesuchs bei Bundeskanzler Werner Faymann gestern Abend in Wien empfing der Franzose einige wenige Medien, darunter die Kleine Zeitung, zu einer längeren Aussprache im Kanzleramt.
„Wenn wir keine europäische Lösung finden, droht Europa auseinanderzubrechen“, erklärt Valls auf die Frage nach seiner Einschätzung der Lage. „Schengen wäre dann auch Geschichte.“Der Premierminister sieht keine Alternative zu einer Einigung auf EU-Ebene mit Verteilungszentren (Hotspots) in Griechenland und Italien, verpflichtende Quoten, scharfe Kontrollen an Außengrenzen. „Das wird ein schwieriger und sehr langer Weg“, so Valls. „Es kann nicht sein, dass sechs Länder, darunter Deutschland, Österreich, Frankreich, die Last allein tragen.“
„Krise stärkt Populisten“
Valls spricht offen den starken Gegenwind an, dem viele Regierungen, darunter jene in Frankreich oder auch Österreich, ausgesetzt sind. „Solche Krisen stär- ken die Populisten. Die Leute sind beunruhigt und sehen apokalyptische Bilder aus Ungarn. Eine Rede, die nur ausgrenzt, findet leichter Anklang als eine Rede der Vernunft. Wir stehen auf Messers Schneide zwischen Populismus und Vernunft.“
Ungarns Premier Viktor Orbán bezeichnet Valls wegen dessen Differenzierung zwischen Christen und Moslems als „Rassisten“, der französische Sozialist räumt allerdings ein, dass auch einige seiner Parteifreunde, etwa der Slowake Robert Fico, höchst problematische Sichtweisen an den Tag legen.
Der frühere Innenminister, der dem rechten Flügel der französischen Sozialisten angehört, verfolgt allerdings keinen reinen Kuschelkurs. Zum einen macht sich der Premier für „ernsthafte Grenzkontrollen an den Außengrenzen“stark, zum anderen unterscheidet Valls deutlich zwischen Asylwerber und Wirtschaftsflüchtlingen – und lässt keine Zweifel aufkommen: „Man muss jene, die kein Recht auf Asyl haben, zurückweisen und abschieben.“Valls stuft alle Balkanländer sowie eine Reihe afrikanischer Länder als sichere Herkunftsländer ein.
Anders als Faymann will Valls – ähnlich wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel – die Osteuropäer, die sich gegen die Übernahme von Flüchtlingen sperren, nicht sofort mit Sanktionen belegen. „Ich will nicht drohen“, so Valls. „Wir sollten unsere Partner in Osteuropa auch an die Solidarität erinnern, die wir ihnen erwiesen haben, etwa in der Ukraine-Krise.“ Manuel Valls, Frankreichs Premier, im Gespräch mit der Kleinen Zeitung
Fünf Milliarden für Lager
Valls weilte aus Anlass eines Sozialistentreffens mit SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel, Schwedens Premier Stefan Löfven und Parlamentschef Martin Schulz in Wien. Am Rande des Treffens erhob Faymann die Forderung nach einer Finanzspritze von fünf Milliarden für die Flüchtlingslager in der Region. Europa, USA und Golfstaaten sollten jeweils ein Drittel übernehmen.