Netzbeben
Das war wieder eine Aufregung gestern. HeinzChristian Strache hat im Hinblick auf die kommende Wien-Wahl im Fernsehen gesagt: „Ich glaube, dass spätestens heute sichtbar geworden ist, dass wir dort erstmals seit 70 Jahren stärkste Kraft werden können.“Auf Twitter, dem schnellsten Klatschmedium der Welt, schien manchem sofort klar, was er nur gemeint haben konnte. Damals saß ein Hanns Blaschke im Namen der NSDAP im Rathaus. Nun, siebzig Jahre später vielleicht wieder einer der Ihren?
Der Vorwurf wiegt schwer, aber ist er auch zu halten? Strache hat nicht gesagt, sie könnten „erstmals wieder“den Bürgermeister stellen. Ohne das „wieder“aber bleibt nicht mehr übrig als ein Bezug auf die Stunde null, auf das Kriegsende, die Wiederbegründung der Demokratie oder wie man sonst das Jahr 1945 bezeichnen mag. Alles Weitere haben die Empörten in ihrem Übereifer selbst hineininterpretiert. trache spielt gerne mit sprachlichen Unschärfen, um sich dann über die solcherart geschürte Empörung zu entrüsten. Diesmal nicht. Etwas Besseres kann ihm nicht passieren.
SDer oberösterreichische Landeshauptmann wusch am Wahlabend seine Hände in Unschuld. Die entsetzliche Niederlage seiner ÖVP und der kometenhafte Aufstieg der Freiheitlichen bei dieser Landtagswahl wurzle im Asylthema, das alles andere überdeckt habe. „Wir haben einen Preis bezahlt, den wir nicht verschuldet haben“, bedauerte Josef Pühringer vor laufender Kamera.
Der Oberösterreicher verniedlichte diesmal seine politische Bedeutung – und die sämtlicher Landeshauptleute in Österreich. Denn diese verstehen sich üblicherweise als Nebenregierung der Republik, ohne die sowieso nichts geht bzw. gehen darf. Kein Thema, in das sich die Landesfürsten nicht hineinwuchten. Allfälliger Widerstand der rot-schwarzen Bundesregierung verpufft. Schließlich sind diese Landeshauptleute in ihrem Bundesland auch Chef einer Landespartei, von ÖVP und SPÖ also, nach der vielleicht bald veralteten Zeitrechnung. Die Landes- häuptlinge bilden in ihren Bundesparteien einen unüberwindbaren Machtblock, sie bestimmen wesentlich mit über Weg, Personalien, Wohl und Wehe der Bundesorganisation. Und nicht ungern sonnten sie sich bisher selbstgefällig in ihrer Machtfülle.
Natürlich löste Pühringer die Flüchtlingswelle nicht aus, aber was daraus in Österreich geworden ist, dafür trägt auch er Verantwortung. Wo war denn der oberösterreichische Landeshauptmann all die Jahre über, als Innenministerin Johanna Mikl-Leitner vergeblich mit den Bundesländern um eine Entlastung von Traiskirchen rang? Was tat er, als sich die Schrumpf-Koalitionsregierung in den Sommermonaten angesichts des Flüchtlings- stroms als völlig überfordert erwies? Nur zaudernd begriffen die Länder die neue Situation, wenngleich sich Oberösterreich dann redlich bemühte. rotzdem kann es für diesen Josef Pühringer, bei allen sonstigen Qualitäten, keinen Freispruch geben. Als einer der Granden der ÖVP liegt es auch in seiner Hand, wie seine Partei in Wien agiert. In der Flüchtlingsfrage kraftlos, sich manchmal der Lächerlichkeit aussetzend und sonst nicht in der Lage, eigene Akzente in der Bundespolitik zu setzen. Weder SPÖ noch ÖVP durchbrachen mit anderen prägenden Ideen oder Vorstößen das tagesaktuelle Monopol des Flüchtlingsthemas.
Der Oberösterreicher als Spitzenfunktionär der Schwarzen ließ dieses Absacken in die Hilflosigkeit zu: Pühringer ist kein Opfer dieses Wahlergebnisses, sondern ein Mittäter – seine Schuld besteht im Unterlassen. Und nicht nur seine.
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