Symbol des Scheiterns
sind wieder die Taliban auf dem Vormarsch. Ganz besiegt waren sie nie. Seit 2014, als die kriegsmüden USA unter Barack Obama das Ende des Kampfeinsatzes vollzogen, weiten sie ihr Einflussgebiet beständig aus. Am Montag unternahmen sie erneut eine Offensive gegen Kunduz. Die Stadt mit ihren etwa 130.000 Einwohnern liegt zwischen den Ausläufern des Hindukusch, ist für afghanische Verhältnisse ungewöhnlich fruchtbar und galt als Hoffnungsgebiet für die Zukunft des Landes: Von 2003 bis 2013 war hier die deutsche Bundeswehr stationiert, um Terror und Taliban fernzuhalten und für Sicherheit zu sorgen. Lange Zeit galt die Region Kunduz als sicherste in ganz Afghanistan. Deutsche und österreichische Hilfsorganisationen halfen beim Aufbau der Infrastruktur, sanierten das Provinzkrankenhaus, schufen Mädchen-Beschäftigungsprojekte. Am Montag hissten nun die Radikalislamisten auf dem zentralen Platz der Stadt ihre Flagge. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen setzten sie einen von Frauen betriebenen Radiosender in Brand. Schwer bewaffnet errichten sie nun wieder Checkpoints in der Stadt. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einem „dramatischen Signal“.
Gegenoffensive
Noch ist nicht alles entschieden. Die afghanische Armee, die jetzt dort stationiert ist, wo die deutsche Bundeswehr bis zu ihrem Abzug aus Kunduz ihr Hauptquartier hatte, startete gestern eine Gegenoffensive. Unterstützung erhielt sie dabei aus der Luft – von der US-Luftwaffe. Ob die afghanische Regierung diese angefordert hatte oder Washington dies von sich aus entschied, war gestern zunächst unklar. Von den einst 13.000 US-Soldaten sind derzeit nur noch 7000 in Afghanistan – ihr Auftrag ist es, im Rahmen der Mission „Resolute Sup- port“bis Ende 2016 den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Auch Berlin, das im 150 Kilometer entfernten Mazar-e-Scharif noch ein Feldlager unterhält, erwägt, seine Ausbildungs- und Beratermission doch noch über 2016 hinaus zu verlängern. Beobachter bezweifeln jedoch, dass sich die Taliban noch vertreiben lassen: Mehr als zwei Drittel der Stadt sollen sie bereits unter Kontrolle haben, und ihre Kämpfer verschanzen sich in bewohntem Gebiet, aus dem man sie aus der Luft nicht vertreiben kann, ohne ein Blutbad unter Zivilisten anzurichten. Der Kampf um Kunduz bringt einmal mehr ans Licht, wie wenig es trotz des jahrelangen Einsatzes des Westens gelungen ist, den afghanischen Zentralstaat zu stärken.
„Wir haben Angst und keine Zukunft hier“, sprach ein junger Afghane dem örtlichen Radio ins Mikrofon, bevor er sich auf die Flucht Richtung Deutschland machte.