„Ich halte das für einen Skandal“
Caritas-Direktor Michael Landau ist gegen ein verschärftes Asylrecht. Dass nicht jeder Asyl erhalten kann, sieht er auch.
Herr Landau, wie schätzen Sie die Pläne der Regierung zum Umgang mit Asylwerbern ein, die heute in Begutachtung gehen sollen? LANDAU: Die Republik will de facto Asylanträge nicht mehr zulassen, sondern nur in Ausnahmefällen, wo sie nicht anders kann. Dass sie dabei alles, was an rechtsstaatlichen Garantien im österreichischen und internationalen Recht vorgesehen ist, unter Verweis auf Notstandsklauseln auszuhebeln trachtet, halte ich für einen Skandal. Wie wollen wir Flüchtlingen unsere europäischen Werte vermitteln, wenn wir uns Stück für Stück von unseren Grundwerten und Grundrechten verabschieden? Europa verliert nicht seine Seele, wenn es Menschen, die Schutz suchen, Schutz gewährt. Es verliert seine Seele, wenn es das nicht mehr tut.
Asylberechtigte nach Genfer Konvention sind nur wenige der Schutzsuchenden. LANDAU: Aus der Sicht der Caritas ist klar: Nicht jeder, der Asyl beantragt, kann auch Asyl erhalten. Aber jeder hat ein Recht auf ein faires, menschenwürdiges und qualitätsvolles Verfahren, in dem das festgestellt wird. Ich halte es für einen Dammbruch, Menschen den Zugang zu diesem Verfahren verwehren zu wollen.
Die Regierung beruft sich Kapazitätsgrenzen. LANDAU: Nach wie vor beherbergt ein Drittel der Gemeinden keinen einzigen Flüchtling. Von Obergrenzen zu reden, solange EU-Mitgliedsstaaten, aber auch viele Gemeinden die Untergrenze noch nicht erreicht haben, ist aus meiner Sicht verfehlt.
Gibt es für Sie Grenzen der Belastbarkeit eines Landes? LANDAU: Einige wenige Länder können nicht auf Dauer die Aufgaben für die gesamte EU über- auf nehmen. Ich halte aber die vorschnelle Aktion mit dem Notstandsszenario für brandgefährlich. Hier wird suggeriert, die Republik wäre mit einem Prozent Asylanträgen, bezogen auf die Bevölkerung, an einen Abgrund geraten. In Wahrheit funktioniert vieles, etwa in der Unterbringung, heute deutlich besser als vor einem halben Jahr.
War es richtig, im Sommer die Grenzen zu öffnen? LANDAU: Ich glaube, dass es in der Situation richtig war. Einem humanitären Imperativ sollte aber auch wieder ein geordneter Zustand folgen.
Ein geordneter Zustand würde heißen, dass Dublin gilt und niemand mehr an die österreichischen Grenzen kommt. LANDAU: Ich glaube, dass es wichtig ist, zu einem geordneten Vorgang zu kommen. Ein geordneter Vorgang muss aber imstande sein, ohne hochgefährliche Instrumente wie Notfallklauseln und die Berufung auf die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit auszukommen. Auch der Begriff Obergrenze bringt uns nicht weiter.
Verstehen Sie das Gefühl Verunsicherung im Land? LANDAU: Die Verunsicherung wird der zum Teil auch politisch verstärkt und instrumentalisiert. Ich habe aber Verständnis, wenn sich Menschen nach Lösungen und Entlastungen sehnen. Diese Sehnsucht verspüren wir alle von Zeit zu Zeit, ich auch. Ich sage aber gleichzeitig, dass eine Politik der Obergrenze und der Grenzbalken diese Sehnsucht nur kurzfristig zu stillen vermag. Langfristig sind das keine Lösungen. In Spielfeld mögen keine Flüchtlinge mehr ankommen, aber das heißt nicht, dass sie vor Ort nicht weiterhin unsere Hilfe brauchen. Hier werden die Probleme an die Außengrenzen Europas verlegt.
Wenn der große Treck über die Balkanroute vorbei ist . . . LANDAU: . . . werden sich die Routen verlagern. Wir werden wieder die Bilder von Ertrinkenden im Mittelmeer sehen und von Menschen, die in einem verschlossenen Transporter ersticken. Wer Schleppern das Handwerk legen will, muss für legale und sichere Zugänge zum Asyl in Europa sorgen.
Was muss Ihrer Ansicht nach nach dem großen Zustrom in Österreich geschehen? LANDAU: Wir brauchen in Österreich deutlich mehr Einsatz für Integration, damit aus der Quartierkrise von gestern nicht die Integrationskrise von morgen wird.
Immer wieder hört man von der Sorge, die Bedürftigen in Österreich könnten zu kurz kommen. LANDAU: Wir dürfen gerade jetzt auch die Not der Österreicherinnen und Österreicher nicht vergessen, die es nach wie vor gibt. Das halte ich für ganz zentral. Der Schwerpunkt der Caritas liegt nach wie vor auf der stillen, alltäglichen Hilfe für Menschen in Not hier in Österreich.