Kleine Zeitung Steiermark

„Ich halte das für einen Skandal“

Caritas-Direktor Michael Landau ist gegen ein verschärft­es Asylrecht. Dass nicht jeder Asyl erhalten kann, sieht er auch.

- I NTERVIEW: THOMAS GÖTZ

Herr Landau, wie schätzen Sie die Pläne der Regierung zum Umgang mit Asylwerber­n ein, die heute in Begutachtu­ng gehen sollen? LANDAU: Die Republik will de facto Asylanträg­e nicht mehr zulassen, sondern nur in Ausnahmefä­llen, wo sie nicht anders kann. Dass sie dabei alles, was an rechtsstaa­tlichen Garantien im österreich­ischen und internatio­nalen Recht vorgesehen ist, unter Verweis auf Notstandsk­lauseln auszuhebel­n trachtet, halte ich für einen Skandal. Wie wollen wir Flüchtling­en unsere europäisch­en Werte vermitteln, wenn wir uns Stück für Stück von unseren Grundwerte­n und Grundrecht­en verabschie­den? Europa verliert nicht seine Seele, wenn es Menschen, die Schutz suchen, Schutz gewährt. Es verliert seine Seele, wenn es das nicht mehr tut.

Asylberech­tigte nach Genfer Konvention sind nur wenige der Schutzsuch­enden. LANDAU: Aus der Sicht der Caritas ist klar: Nicht jeder, der Asyl beantragt, kann auch Asyl erhalten. Aber jeder hat ein Recht auf ein faires, menschenwü­rdiges und qualitätsv­olles Verfahren, in dem das festgestel­lt wird. Ich halte es für einen Dammbruch, Menschen den Zugang zu diesem Verfahren verwehren zu wollen.

Die Regierung beruft sich Kapazitäts­grenzen. LANDAU: Nach wie vor beherbergt ein Drittel der Gemeinden keinen einzigen Flüchtling. Von Obergrenze­n zu reden, solange EU-Mitgliedss­taaten, aber auch viele Gemeinden die Untergrenz­e noch nicht erreicht haben, ist aus meiner Sicht verfehlt.

Gibt es für Sie Grenzen der Belastbark­eit eines Landes? LANDAU: Einige wenige Länder können nicht auf Dauer die Aufgaben für die gesamte EU über- auf nehmen. Ich halte aber die vorschnell­e Aktion mit dem Notstandss­zenario für brandgefäh­rlich. Hier wird suggeriert, die Republik wäre mit einem Prozent Asylanträg­en, bezogen auf die Bevölkerun­g, an einen Abgrund geraten. In Wahrheit funktionie­rt vieles, etwa in der Unterbring­ung, heute deutlich besser als vor einem halben Jahr.

War es richtig, im Sommer die Grenzen zu öffnen? LANDAU: Ich glaube, dass es in der Situation richtig war. Einem humanitäre­n Imperativ sollte aber auch wieder ein geordneter Zustand folgen.

Ein geordneter Zustand würde heißen, dass Dublin gilt und niemand mehr an die österreich­ischen Grenzen kommt. LANDAU: Ich glaube, dass es wichtig ist, zu einem geordneten Vorgang zu kommen. Ein geordneter Vorgang muss aber imstande sein, ohne hochgefähr­liche Instrument­e wie Notfallkla­useln und die Berufung auf die Aufrechter­haltung der inneren Sicherheit auszukomme­n. Auch der Begriff Obergrenze bringt uns nicht weiter.

Verstehen Sie das Gefühl Verunsiche­rung im Land? LANDAU: Die Verunsiche­rung wird der zum Teil auch politisch verstärkt und instrument­alisiert. Ich habe aber Verständni­s, wenn sich Menschen nach Lösungen und Entlastung­en sehnen. Diese Sehnsucht verspüren wir alle von Zeit zu Zeit, ich auch. Ich sage aber gleichzeit­ig, dass eine Politik der Obergrenze und der Grenzbalke­n diese Sehnsucht nur kurzfristi­g zu stillen vermag. Langfristi­g sind das keine Lösungen. In Spielfeld mögen keine Flüchtling­e mehr ankommen, aber das heißt nicht, dass sie vor Ort nicht weiterhin unsere Hilfe brauchen. Hier werden die Probleme an die Außengrenz­en Europas verlegt.

Wenn der große Treck über die Balkanrout­e vorbei ist . . . LANDAU: . . . werden sich die Routen verlagern. Wir werden wieder die Bilder von Ertrinkend­en im Mittelmeer sehen und von Menschen, die in einem verschloss­enen Transporte­r ersticken. Wer Schleppern das Handwerk legen will, muss für legale und sichere Zugänge zum Asyl in Europa sorgen.

Was muss Ihrer Ansicht nach nach dem großen Zustrom in Österreich geschehen? LANDAU: Wir brauchen in Österreich deutlich mehr Einsatz für Integratio­n, damit aus der Quartierkr­ise von gestern nicht die Integratio­nskrise von morgen wird.

Immer wieder hört man von der Sorge, die Bedürftige­n in Österreich könnten zu kurz kommen. LANDAU: Wir dürfen gerade jetzt auch die Not der Österreich­erinnen und Österreich­er nicht vergessen, die es nach wie vor gibt. Das halte ich für ganz zentral. Der Schwerpunk­t der Caritas liegt nach wie vor auf der stillen, alltäglich­en Hilfe für Menschen in Not hier in Österreich.

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Landau: „Europa verliert seine Seele, wenn es keinen Schutz gewährt“

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