Kleine Zeitung Steiermark

Die große Illusion vom Ende der Flüchtling­skrise

Regierung reizt mit Notverordn­ung Grundrecht­e aus.

- MICHAEL JUNGWIRTH

Ein Blick in die Asylnovell­e sagt wohl alles aus: Acht Seiten umfassen die Abänderung­en, 30 Seiten die rechtlich untermauer­ten Erklärunge­n zu den geplanten Verschärfu­ngen. Ob die Regierung das schlechte Gewissen plagt? Es geht immerhin um Menschen, und mit dem Sondergese­tz weicht die Regierung von der Asylpraxis auf dramatisch­e Weise ab. Künftig sollen neun von zehn Flüchtling­en nach einem Schnellver­fahren an der Grenze zurückgewi­esen werden können. Selten zuvor sind die Grundrecht­e so ausgereizt worden wie in diesem Gesetz.

So ist es keineswegs verwunderl­ich, dass die Koalition ihr gesamtes juristisch­es Instrument­arium auspackt, um die Sonderbest­immungen zu rechtferti­gen, den Vorwurf der Aushebelun­g der Grundrecht­e zu entkräften – und um keine peinliche Schlappe vor den Höchstgeri­chten in Straßburg oder Luxemburg zu erleiden.

In den Erläuterun­gen trägt die Regierung ziemlich dick auf, die Argumentat­ionskette könnte aus der Feder der Freiheitli­chen stammen. Die öffentlich­e Ordnung sei in Gefahr, Unruhen und interethni­sche oder interrelig­iöse Konflikte drohen, Arbeits- und Wohnungsma­rkt sowie manche Schulen würden eine neuerliche Flüchtling­swelle nicht mehr verkraften. Die Kriminalit­ät würde anschwelle­n – abgesehen davon, dass der archaische Wertekanon der Migranten ohnehin die Integratio­nsbemühung­en massiv erschwere. Vor einem Jahr hätten die Verfasser der Novelle solche Erläuterun­gen als rechtspopu­listische Hetze abgetan.

Die Frage muss erlaubt sein: Ist das billige Panikmache oder der ungeschmin­kte Blick auf eine unangenehm­e Wirklichke­it? Der Regierung bleibt zwar

Dder Vorwurf nicht erspart, durch mangelnde Profession­alität viele der angeschnit­tenen Probleme nicht entschärft, sondern eher verschärft zu haben. Flüchtling­skoordinat­or Konrad kann nächtelang über das amateurhaf­te Verhalten von Politik und Bürokratie erzählen. ie Koalition steht vor einer ganz anderen Herausford­erung: Wer glaubt, die Flüchtling­skrise sei durch die Balkan-Sperre und den Türkei-Deal beendet, lebt auf dem Mond. Die Regierung hat Vorkehrung­en für eine neuerliche Flüchtling­swelle getroffen, die die gesellscha­ftliche Kohäsion unseres Landes auf den Kopf stellen würde. Dass die Novelle auf dem Rücken der Flüchtling­e beschlosse­n wird, stimmt nicht. Kein Migrant wird in einen Unrechtsst­aat abgeschobe­n. Die Regierung nimmt eher die Länder in die Pflicht, die bisher nur große Töne gespuckt haben und keinen Finger gerührt haben. Sie erreichen den Autor unter

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