Die große Illusion vom Ende der Flüchtlingskrise
Regierung reizt mit Notverordnung Grundrechte aus.
Ein Blick in die Asylnovelle sagt wohl alles aus: Acht Seiten umfassen die Abänderungen, 30 Seiten die rechtlich untermauerten Erklärungen zu den geplanten Verschärfungen. Ob die Regierung das schlechte Gewissen plagt? Es geht immerhin um Menschen, und mit dem Sondergesetz weicht die Regierung von der Asylpraxis auf dramatische Weise ab. Künftig sollen neun von zehn Flüchtlingen nach einem Schnellverfahren an der Grenze zurückgewiesen werden können. Selten zuvor sind die Grundrechte so ausgereizt worden wie in diesem Gesetz.
So ist es keineswegs verwunderlich, dass die Koalition ihr gesamtes juristisches Instrumentarium auspackt, um die Sonderbestimmungen zu rechtfertigen, den Vorwurf der Aushebelung der Grundrechte zu entkräften – und um keine peinliche Schlappe vor den Höchstgerichten in Straßburg oder Luxemburg zu erleiden.
In den Erläuterungen trägt die Regierung ziemlich dick auf, die Argumentationskette könnte aus der Feder der Freiheitlichen stammen. Die öffentliche Ordnung sei in Gefahr, Unruhen und interethnische oder interreligiöse Konflikte drohen, Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie manche Schulen würden eine neuerliche Flüchtlingswelle nicht mehr verkraften. Die Kriminalität würde anschwellen – abgesehen davon, dass der archaische Wertekanon der Migranten ohnehin die Integrationsbemühungen massiv erschwere. Vor einem Jahr hätten die Verfasser der Novelle solche Erläuterungen als rechtspopulistische Hetze abgetan.
Die Frage muss erlaubt sein: Ist das billige Panikmache oder der ungeschminkte Blick auf eine unangenehme Wirklichkeit? Der Regierung bleibt zwar
Dder Vorwurf nicht erspart, durch mangelnde Professionalität viele der angeschnittenen Probleme nicht entschärft, sondern eher verschärft zu haben. Flüchtlingskoordinator Konrad kann nächtelang über das amateurhafte Verhalten von Politik und Bürokratie erzählen. ie Koalition steht vor einer ganz anderen Herausforderung: Wer glaubt, die Flüchtlingskrise sei durch die Balkan-Sperre und den Türkei-Deal beendet, lebt auf dem Mond. Die Regierung hat Vorkehrungen für eine neuerliche Flüchtlingswelle getroffen, die die gesellschaftliche Kohäsion unseres Landes auf den Kopf stellen würde. Dass die Novelle auf dem Rücken der Flüchtlinge beschlossen wird, stimmt nicht. Kein Migrant wird in einen Unrechtsstaat abgeschoben. Die Regierung nimmt eher die Länder in die Pflicht, die bisher nur große Töne gespuckt haben und keinen Finger gerührt haben. Sie erreichen den Autor unter