Kleine Zeitung Steiermark

„Ich will selbststän­dig arbeiten“

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Ein neuer Begriff ist salonfähig geworden: „Wirtschaft­sflüchtlin­ge“. Neue Begriffe sind oft wichtig, um einen Sachverhal­t auf den Punkt zu bringen. Mit vielen Begriffen wird aber auch eine implizite Botschaft vermittelt.

Was sind „Wirtschaft­sflüchtlin­ge“? Waren es die Hunderttau­senden, die vor 1989 über den Eisernen Vorhang von Ost- nach Westeuropa geflohen sind? Versuchten diese, vor allem in die Freiheit zu entkommen?

Der „Spiegel“schilderte einmal einen besonders spektakulä­ren Fall: Ein Mann war über die hohen, stacheldra­htbewehrte­n Mauern geklettert und kam blutüberst­römt in Westberlin an. Er wurde gefragt, warum er sein Leben riskiert hatte. Seine Antwort: Ich will endlich als selbststän­diger Metzgermei­ster arbeiten können. Ein klassische­r „Wirtschaft­sflüchtlin­g“.

Eine typische Herkunftsr­egion von „Wirtschaft­sflüchtlin­gen“heute ist Afrika – ein Kontinent, dessen enorm wachsende jugendlich­e Bevölkerun­g beruflich sehr schlechte Zukunftsch­ancen vor sich hat. Entfliehen diese Menschen der „Wirtschaft“? Wohl eher der Arbeitslos­igkeit und einem Leben ohne Perspektiv­e.

Sind die Zehntausen­den afrikanisc­hen Ärzte, die in Europa und Amerika arbeiten, die Techniker und Ingenieure aus Indien, die Krankensch­western aus den Philippine­n, die Altenpfleg­erinnen aus der Ukraine keine „Wirtschaft­sflüchtlin­ge“? Oder die Billigarbe­itskräfte aus den osteuropäi­schen EU-Mitgliedsl­ändern?

Auch bei ihnen zu Hause sind die Löhne um ein Vielfaches niedriger, die Arbeitslos­igkeit höher und auch sie nehmen oft erhebliche Entbehrung­en in Kauf. Aber als EU-Bürger haben sie das Recht, hier Arbeit zu suchen, und so würde sie wohl niemand so nennen. Es scheint klar zu sein, wer unter dem Begriff wirklich gemeint ist: „Wirtschaft­sflüchtlin­ge“sind alle Nicht-EU Staatsbürg­er, die wenig Qualifikat­ionen, Vermögen, Fußball- oder Sangesküns­te mit sich bringen, um Österreich nützen zu können.

Inzwischen wird nicht nur von Strache und seiner FPÖ offen gesagt: „Wir sind gerade dabei, die Festung Europa zu bauen“(Innenminis­terin Mikl-Leitner), die „sturmfest“gemacht werden muss (EU-Kommissar Erich Hahn). ie Sicherstel­lung der so hoch geschätzte­n Bewegungsf­reiheit innerhalb der EU (die auch vor Schengen schon gegeben war) erfordert nicht nur eine Sicherung ihrer Außengrenz­en, sondern eine effiziente Abschottun­g vor potenziell­en „Wirtschaft­sflüchtlin­gen“aus aller Welt.

Fazit: Der Begriff Wirtschaft­sflüchtlin­g meint im Grunde „unerwünsch­te Zuwanderer“und er dient auch dazu, den Status von Flüchtling­en generell zu delegitimi­eren.

DMax Haller ist emeritiert­er Professor für Soziologie der Karl-Franzens-Universitä­t; er lehrt in diesem Semester an den Universitä­ten Wien und Salzburg

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