Rhythmische Folkloren unterm Sushimesser
Paul Simons „Stranger to Stranger“: Abrechnung eines unerschrockenen Songwriters mit der Welt von heute.
POPMUSIK „The Werewolf“erzählt von einem Mann, einer Frau und einem Sushimesser, aber eigentlich von den Reichen, die immer reicher werden. „Wristband“beginnt als Anekdote über einen Musiker, dem dank eines verwurstelten Zutrittsbands der Zutritt zu seinem eigenen Konzert verwehrt wird, und endet als Anklage sozialer Ungerechtigkeit. „Insomniac’s Lullaby“handelt von Schlaflosigkeit und von dem Schlaf, den wir alle schlafen werden. Paul Simon hat sein zwölftes Album publiziert. Es heißt „Stranger to Stranger“und ist großartig.
Es fällt naturgemäß ein bisschen schwer, derart melodiöse, ja harmonieverliebte Musik als kühn zu bezeichnen. Aber genau das ist dieses Album. Denn Simon, der wie andere Künstler seiner Altersgruppe ein gutes Auslangen damit hätte, sich für seinen Backkatalog von „Still Crazy After All These Years“(1975) bis „Graceland“(1986) feiern zu lassen (und da sind die Jahre mit Art Garfunkel gar nicht berücksichtigt), dieser 74-Jährige also, dessen Stimme noch immer so wunderkindhaft schwerelos wie die eines sehr jungen Mannes klingt: Er spielt unerschrocken mit den rhythmischen Folkloren mehrerer Kontinente, er baut Rhythmusbögen über mehrere Songs hinweg, packt in ein und denselben Song karibische, afrikanische, australische Töne, und zum Drüberstreuen gibt’s Loops, Spoken-Word- und Sampling-Passagen. Der erste Ton auf „Stranger to Stranger“entspringt einem Gopichand, einem auf dem indischen Subkontinent gebräuchlichen, ansonsten obskuren Ein-Saiten-Instrument. Es folgen elf exzellente Songs über die Welt von heute. Der „New York Times“sagte Simon, es sei ihm diesmal vor allem „um Sounds und ihre Quellen“gegangen. Ein Anwärter für das Understatement des Jahres, denn was da in bemühte Altmännerhipness hätte münden können, erweist sich als unangestrengte Zeitgenossenschaft. Paul Simon. Stranger to Stranger. Universal, 16,99 Euro.