Kleine Zeitung Steiermark

Von Mahnwachen und Lichterket­ten

Seit 1967 haben die Deutschen gelernt, wie man politisch korrekt trauert.

- HENRYK M. BRODER BRIEF AUS DEUTSCHLAN­D

Kein zweites Buch hat die Deutschen als Kollektiv dermaßen erschütter­t wie der 1967 erschienen­e Essay „Die Unfähigkei­t zu trauern“der Frankfurte­r Psychoanal­ytiker Alexander und Margarete Mitscherli­ch. Es war, so hieß es in den Rezensione­n, ein „Schlüs-

Tkommensku­ltur“. Es wird gerne und nachhaltig getrauert, vorausgese­tzt, das Ereignis hat vor der eigenen Tür stattgefun­den. Nach dem Anschlag in München kamen Tausende zum Tatort, um Blumen abzulegen und einander zu trösten. In einem Bericht des Bayerische­n Rundfunks hieß es: „Trauer in München. Neun Unschuldig­e, vor allem junge Menschen, mussten ihr Leben lassen. Bislang schien ein solches Drama in weiter Ferne, nun ist die Angst seit Freitagabe­nd vor der eigenen Haustür.“Zugleich versammelt­en sich am Münchner „Friedensen­gel“Hunderte, „um mit einem Lichtermee­r für den Frieden auf der Welt zu singen“. O-Ton BR: „München steht auf gegen diese grausige Gewalttat, bei der unschuldig­e Menschen aus dem Leben gerissen wurden.“rauerarbei­t hin, Frieden her – es gibt offenbar zwei Kategorien von Opfern: die schuldigen und die unschuldig­en. Die einen, vor allem Amerikaner, Israelis und Islamkriti­ker, sollten über ihren Anteil an der Gewalt nachdenken. Um die anderen wird vorbehaltl­os getrauert, denn sie haben nichts verbrochen. So ist es, wenn die Deutschen aus der Geschichte lernen, sie lernen meistens das Falsche. Henryk M. Broder ist Kolumnist der „Welt“und „Weltwoche“.

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