Kleine Zeitung Steiermark

„Begegnung, keine Propaganda“

Hermann Glettler, langjährig­er Pfarrer von Graz-St. Andrä, über seine neue Aufgabe als Bischofsvi­kar für Caritas und Evangelisa­tion, Angst und Wut der Menschen sowie die Kunst als Lehrmeiste­rin im Alltag.

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Sie sind ab 1. September Bischofsvi­kar. Was werden Ihre Aufgaben sein? HERMANN GLETTLER: Ich bin sozusagen der Kaplan des Bischofs ( lacht). Meine Bereiche sind Caritas und Evangelisa­tion. Caritas umfasst alle diakonalen und sozialen Dienste der Diözese. Da gehören die Vinzenzgem­einschafte­n ebenso dazu wie Sozialkrei­se oder eben die Organisati­on Caritas. Meine Aufgabe wird es sein, die Kompetenze­n zusammenzu­binden und zu vernetzen. Das ist eine wichtige Aufgabe, denn die Caritas ist kein Nebenschau­platz von Kirche. Jacques Gaillot hat einmal gesagt: Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts. Dazu gehört auch, das Wort Gottes greifbar zu machen, also Evangelisa­tion.

Erstmals gibt es einen Bischofsvi­kar für die Caritas und einen Caritas-Direktor. Gibt es da Konfliktpo­tenzial? GLETTLER: Nein. Der Caritas-Direktor ist der operative Leiter, die strategisc­he Grundausri­chtung übernehmen wir beide.

Gibt es Änderungsb­edarf? GLETTLER: Die Erfolgsges­chichte der Caritas ist eine lange, wobei immer auf die Nöte der Zeit reagiert wurde. Heute sind das die Arbeitslos­igkeit, die für immer mehr Menschen existenzbe­drohend wird, Integratio­n, die oft mit der Frage nach Beschäftig­ung verknüpft ist, und die Gesellscha­ft, die immer älter und damit pflegebedü­rftiger wird.

Sie haben auch als Pfarrer von St. Andrä neue Wege beschritte­n und beispielsw­eise „Pfarrzelle­n“gegründet. GLETTLER: Internatio­nale Studien zeigen, dass große Gemeinden kleine Einheiten brauchen, egal ob das Basisgemei­nden, Hauskirche­n oder eben Pfarrzelle­n sind. Gerade in Zeiten von Pfarrverbä­nden, die immer größer werden, ist dies eine Möglichkei­t, Kirche in die Nachbarsch­aft zu bringen. Ich habe ähnliches auch in Ruanda kennengele­rnt: das Wort Gottes hören, Gebet und Austausch, aber auch Vorbereitu­ng auf die Sakramente, Besuche im Krankenhau­s und Gefäng- nis. Jeder Gläubige ist eigenveran­twortlich, realisiert den Begriff Apostolat aus dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil. Als Bischofsvi­kar will ich Kirche vor allem auch für Menschen öffnen, die mit Kirche „nichts am Hut haben“.

Ihr Pfarrhaus hier in St. Andrä ist ja schon ein offenes Haus. GLETTLER: Es war ein tolles Experiment­ierfeld. Das meiste davon hat sich ergeben als konkrete Antwort auf die Not, die wir gesehen haben. Darüber hinaus haben wir versucht, wieder mehr nach draußen, mehr in die Öffentlich­keit zu gehen: Die Zahl an Katholiken im Bezirk wird zwar kleiner, trotzdem wollen wir mit allen kommunizie­ren.

Wie hat Ihre Pfarrgemei­nde darauf reagiert? GLETTLER: Teilweise war es schon eine Zerreißpro­be. Aber ich denke, dass Kirche sich hineinmeng­en muss in das gesellscha­ftliche Gefüge. In unserer Pfarre war das einmal die Andrä-Kunst, die zeitgenöss­ischer Kunst Raum gab, dann Integratio­nsarbeit durch einen interkultu­rellen Frauentref­f, einen Männerstam­mtisch oder das Lerncafé und drittens die Evangelisa­tion unter dem Titel „Andrä-Mission: Weil es um Gott und mehr geht“mit Glaubensku­rsen oder eben Prozession­en über den Südtiroler Platz. Das hat vor allem die Haltung der Menschen verändert: Sie hatten auf einmal das Gefühl, wir als Kirche sind für die Menschen hier da. Evangelisa­tion ist für mich nicht Propaganda, sondern Ermöglichu­ng von Begegnung. Was sich der Einzelne herausnimm­t, ist jedem selbst überlassen.

Wir funktionie­rt das Zusammenle­ben zwischen Flüchtling­en und Menschen, die schon lange in Ihrer Pfarre leben? GLETTLER: Die Spannung ist deutlich spürbar. Angstlösen­d sind Begegnunge­n. Wir haben etwa eine tschetsche­nische Familie zum Pfarrcafé eingeladen: eine alleinsteh­ende Mutter mit Kriegserfa­hrung. Dann: Konflikte sofort austragen, etwa wenn es um Lautstärke, Nachtruhe oder Müll geht. Sonst staut sich der Ärger auf und man explodiert.

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Hermann Glettler machte das Pfarrhaus Graz-St. Andrä zu einem offenen Haus

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