Kleine Zeitung Steiermark

ZUR PERSON

- I NTERVIEW: THOMAS GÖTZ, MONIKA SCHACHNER

Hermann Glettler wurde 1965 in Übelbach geboren. Er studierte ab 1983 Theologie und Kunstgesch­ichte in Graz und Tübingen. 1991 wurde er zum Priester geweiht. Seit 1999 ist er Pfarrer in Graz-St. Andrä, Karlau, St. Lukas und Welsche Kirche. Er gehört der Kunstkommi­ssion der Diözese an und ist selber Künstler. Glettler ist Mitglied der Gemeinscha­ft Emanuel. Und die Zugezogene­n meinen dann, die Österreich­er sind böse. Das Wichtigste, was Kirche hier kann, ist Identitäts­ressourcen aufbauen. Der Begriff stammt von Clemens Sedmak. Grob zusammenge­fasst bedeutet er: Der Mensch weiß, wer er ist, welchen Sinn sein Leben hat. Das kann durch Vertrauen und Hoffnung gestärkt werden. Sonst ist der Mensch nicht belastbar und wird zum Fallwild für Populisten.

Einige Katholiken sind wegen der „liberalen“Flüchtling­spolitik aus der Kirche ausgetrete­n, anderersei­ts ist ihre Glaubwürdi­gkeit gestiegen. GLETTLER: Das Evangelium stellt sich auf die Seite aller in Not Geratenen. Was die Caritas betrifft: Sie hat im Vorjahr 90.000 Steirerinn­en und Steirern und 12.000 Flüchtling­en geholfen.

Welche Rolle kann spielen? GLETTLER: Die Kunst hat mich gelehrt, dass das Leben viel Trotz, Frechheit und Trost braucht. Für die Pfarre hat es geheißen, einen barocken Kosmos aufzubrech­en und Verwundbar­keit zuzulassen. Denn gute Kunst meint Reibung, aber auch Reibungsen­ergie. Einmal hat mir eine Frau geschriebe­n, die aus der Kirche ausgetrete­n war: In Sankt Andrä habe sie endlich wieder einen Raum zum Atmen gefunden und nach 20 Jahren das erste Mal wieder gebetet. Das hat mich sehr berührt.

Negative Reaktionen? GLETTLER: Bei der Fassadenge­staltung meinten einige, schreiben da Kunst wir christlich­e Begriffe wie Barmherzig­keit, Liebe oder Glaube hinauf. Ich habe aber gesagt: Wenn wir etwa den Begriff „Wahrheit“nehmen, würden die Menschen denken, wir müssen es plakativ darstellen, weil wir sie nicht mehr haben. Oder wir werfen den anderen vor, sie nicht zu haben. Und beides ist relativ ungünstig. Nehmen wir lieber Alltagsind­ikatoren und bauen so eine interessan­te Spannung auf. Später ist dann eine ältere Frau zu mir gekommen und hat gemeint: Ich muss bei der Kirche immer stehen bleiben und nachdenken, was ich darüber denken soll.

Wollen Sie die Kunstproje­kte weiterführ­en? GLETTLER: Nein. Aber vielleicht bricht ja dieser Virus in mir wieder einmal aus ( lacht).

Wohin gehen Sie nun? GLETTLER: Zuerst ziehe ich in ein Gastzimmer bei den Lazaristen, später in eine Wohngemein­schaft in einem neuen Caritas-Projekt für leistbares Wohnen.

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