ZUR PERSON
Hermann Glettler wurde 1965 in Übelbach geboren. Er studierte ab 1983 Theologie und Kunstgeschichte in Graz und Tübingen. 1991 wurde er zum Priester geweiht. Seit 1999 ist er Pfarrer in Graz-St. Andrä, Karlau, St. Lukas und Welsche Kirche. Er gehört der Kunstkommission der Diözese an und ist selber Künstler. Glettler ist Mitglied der Gemeinschaft Emanuel. Und die Zugezogenen meinen dann, die Österreicher sind böse. Das Wichtigste, was Kirche hier kann, ist Identitätsressourcen aufbauen. Der Begriff stammt von Clemens Sedmak. Grob zusammengefasst bedeutet er: Der Mensch weiß, wer er ist, welchen Sinn sein Leben hat. Das kann durch Vertrauen und Hoffnung gestärkt werden. Sonst ist der Mensch nicht belastbar und wird zum Fallwild für Populisten.
Einige Katholiken sind wegen der „liberalen“Flüchtlingspolitik aus der Kirche ausgetreten, andererseits ist ihre Glaubwürdigkeit gestiegen. GLETTLER: Das Evangelium stellt sich auf die Seite aller in Not Geratenen. Was die Caritas betrifft: Sie hat im Vorjahr 90.000 Steirerinnen und Steirern und 12.000 Flüchtlingen geholfen.
Welche Rolle kann spielen? GLETTLER: Die Kunst hat mich gelehrt, dass das Leben viel Trotz, Frechheit und Trost braucht. Für die Pfarre hat es geheißen, einen barocken Kosmos aufzubrechen und Verwundbarkeit zuzulassen. Denn gute Kunst meint Reibung, aber auch Reibungsenergie. Einmal hat mir eine Frau geschrieben, die aus der Kirche ausgetreten war: In Sankt Andrä habe sie endlich wieder einen Raum zum Atmen gefunden und nach 20 Jahren das erste Mal wieder gebetet. Das hat mich sehr berührt.
Negative Reaktionen? GLETTLER: Bei der Fassadengestaltung meinten einige, schreiben da Kunst wir christliche Begriffe wie Barmherzigkeit, Liebe oder Glaube hinauf. Ich habe aber gesagt: Wenn wir etwa den Begriff „Wahrheit“nehmen, würden die Menschen denken, wir müssen es plakativ darstellen, weil wir sie nicht mehr haben. Oder wir werfen den anderen vor, sie nicht zu haben. Und beides ist relativ ungünstig. Nehmen wir lieber Alltagsindikatoren und bauen so eine interessante Spannung auf. Später ist dann eine ältere Frau zu mir gekommen und hat gemeint: Ich muss bei der Kirche immer stehen bleiben und nachdenken, was ich darüber denken soll.
Wollen Sie die Kunstprojekte weiterführen? GLETTLER: Nein. Aber vielleicht bricht ja dieser Virus in mir wieder einmal aus ( lacht).
Wohin gehen Sie nun? GLETTLER: Zuerst ziehe ich in ein Gastzimmer bei den Lazaristen, später in eine Wohngemeinschaft in einem neuen Caritas-Projekt für leistbares Wohnen.