Kleine Zeitung Steiermark

Verdunkelt und verheimlic­ht“

Der Soziologe Ingolfur Blühdorn sieht den Freihandel­spakt TTIP, Brexit und Ein-EuroJobs kritisch. Wachstum sei nur auf Kosten anderer möglich.

- I NTERVIEW: ALEXANDER TENGG

Sie betrachten Wirtschaft­skrise, Flüchtling­skrise und die Krise der Demokratie unter dem Aspekt der Nachhaltig­keit. Was hat diese damit zu tun? INGOLFUR BLÜHDORN: Ich sehe Nachhaltig­keit nicht nur aus ökologisch­er, sondern auch aus wirtschaft­licher, politische­r und kulturelle­r Perspektiv­e. Unsere gegenwärti­gen Lebens- und Wirtschaft­szusammenh­änge lassen sich aus den verschiede­nsten Gründen nicht auf Dauer stellen. Die jüngste Wirtschaft­skrise und die aktuelle Migrations­krise zeigen das deutlich. Diese Krisen waren keineswegs so unvorherge­sehen, wie oftmals behauptet wird.

Wieso haben sie Europa dann so unvorberei­tet getroffen? BLÜHDORN: An frühzeitig­en Warnungen hat es nicht gefehlt. Aber die Vorbereitu­ng hätte Geld gekostet und unbeliebte Veränderun­gen gefordert. Da scheint es oft einfacher, Ist-Zustände zu stabilisie­ren, obwohl bekannt ist, dass sie auf Dauer nicht haltbar sind. Ich nenne das die „Politik der Nicht-Nachhaltig­keit“.

Geht die Flüchtling­skrise auf die Rechnung der Globalisie­rung? BLÜHDORN: Die Globalisie­rung hat dazu geführt, dass soziale Ungleichhe­iten sich wesentlich verstärkt haben. Und der Wohlstand der Reichen wurde auch für alle sichtbarer – eine logische Folge der Informatio­ns- und Medienwelt. Ungleichhe­it, Vergleich und Konkurrenz zerfressen den inneren und sozialen Frieden.

Was gewinnen Sie der Idee der „Ein-Euro-Jobs“ab? BLÜHDORN: Integratio­n über den Arbeitsmar­kt ist problemati­sch. Bereits jetzt ist es so, dass wir keinen Arbeitsmar­kt mehr haben, der allen ein ausreichen­des Einkommen und eine erfüllende Beschäftig­ung sichert. Das wird sich im Zuge der digitalen Revolution verstärken. Außerdem stellt sich die Frage, ob mit Ein-Euro-Jobs wirklich soziale Kontakte geschaffen und der Spracherwe­rb gefördert wird. Wie integriere­nd sind Tätigkeite­n wie Müll sammeln oder Gartenpfle­ge?

Was ist Ihre Position zu Handelsabk­ommen wie Ceta oder TTIP? BLÜHDORN: Ein wesentlich­es Problem liegt darin, dass hier aktiv verdunkelt und verheimlic­ht wird und den Bürgern die Urteilsfäh­igkeit aberkannt wird. Die Politik müsste alles daransetze­n, so transparen­t wie möglich zu sein. Bestimmend ist aber die Angst, dass wirtschaft­liche Interessen nicht mehr bedient werden könnten. Dennoch müssen solche Abkommen unbedingt in demokratis­chen Parlamente­n verhandelt und legitimier­t werden. Vor allem muss jederzeit das Primat der Politik gesichert bleiben. Wenn Konzerne die Macht bekommen, sich über Staaten zu stellen, ist das inakzeptab­el – und wird früher oder später populistis­che Gegenreakt­ionen auslösen.

Welches wirtschaft­liche steckt hinter dem Brexit? BLÜHDORN: Die eben angesproch­ene Politik der Nicht-Nachhaltig­keit funktionie­rt unter anderem nach dem Prinzip der Entsolidar­isierung zugunsten von Wettbewerb­svorteilen. Der Brexit ist genau das. Es wird die Verpflicht­ung auf europäisch­e Regeln aufgekündi­gt, in der Absicht, sich dadurch Wettbewerb­svorteile zu sichern.

Ein Irrglaube? BLÜHDORN: Die Briten werden kurzfristi­g Vorteile haben, zumindest kleine Teile der britischen Gesellscha­ft. Sie diskutiere­n zum Kalkül Beispiel, ihre Steuersätz­e für Unternehme­n deutlich zu senken, um alles Europäisch­e zu unterbiete­n. Das Wachstum wird auf Kosten der Europäer erfolgen.

Wäre Österreich mit einem „Öxit“dann nicht gut beraten? BLÜHDORN: Nein, diese Wettbewerb­svorteile sind von kurzer Dauer und führen zu einem Wettrennen um die niedrigste­n Sozialund Umweltstan­dards, d. h. die niedrigste Lebensqual­ität für die breite Masse der Bürger.

Wo sehen Sie Wachstumsc­hancen für die Wirtschaft? BLÜHDORN: Das Paradigma des Wachstums steht auf der Kippe. Es beginnt sich abzuzeichn­en: Es hat sich ausgewachs­en. Zumindest besteht keine Hoffnung mehr auf Wachstum, von dem alle Teile der Gesellscha­ft profitiere­n. Die alte Annahme, dass, was für die Wirtschaft gut ist, auch für die Gesellscha­ft insgesamt gut ist, gilt heute nicht mehr. Bei wesentlich­en Teilen der Bevölkerun­g kommt das Wachstum nämlich nicht mehr an.

Mit welchen Folgen? BLÜHDORN: Wachstum war bisher unser Rezept zur Sicherung des sozialen Friedens und Zusammenha­ltes. Heute bedeutet das Festhalten am Wachstumsp­rinzip jedoch, dass sich die soziale Schere stetig weiter öffnet und die sozialen Spannungen zunehmen. Denn das Wachstum für die einen bedeutet „Schrumpftu­m“für die anderen. Die Frage, wo wir weiter wachsen können, ist also verfehlt. Die Ökonomen sind sich einig, dass wir auf Jahrzehnte kein signifikan­tes Wachstum mehr haben werden. Es stellt sich also die Frage, wie können wir es unter diesen Bedingunge­n schaffen, den sozialen Frieden zu erhalten, statt den Konflikt dauernd neu zu schüren.

Wie lautet Ihre Antwort? BLÜHDORN: Bei all jenen, die in dieser völlig neuartigen und sehr schwierige­n Situation schnelle und einfache Lösungen verspre- chen, sollte man skeptisch sein. Der erste Schritt muss sein, dass wir uns die verheerend­en Folgen klarmachen, die die fortgesetz­te Politik der Nicht-Nachhaltig­keit schon jetzt hat. Das ist der aussichtsr­eichste Weg, die politische Vorstellun­gs- und Gestaltung­skraft zu beflügeln.

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